Ida Hüners behandelt als Assistenzärztin Kinder am Herzen. Manche ihrer Patienten im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sind nur wenige Stunden alt. Worauf es bei ihrem Beruf ankommt.
Frühmorgens, wenn halb Hamburg noch schläft, tankt Ida Energie für den Tag. Sie geht mit ihrer Mischlingshündin Holly spazieren oder joggt eine Runde. Um sechs Uhr ist im Park neben dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) noch nicht viel los. Das tut gut, denn kurze Zeit später ist Ida an einem Arbeitsplatz, der ihr höchste Konzentration abverlangt.
Ida ist Ärztin und arbeitet am Herzzentrum des UKE. Dort wird sie zur Kinder-Herzchirurgin ausgebildet. Sie operiert die Herzen von Babys und Kindern und auch von Erwachsenen, die als Kind einen angeborenen Herzfehler hatten. Diese Spezialisierung zu erlernen, dauert viele Jahre. Ida und ihre Kollegen und Kolleginnen am Herzzentrum tragen enorme Verantwortung und haben lange Arbeitstage. »Manche Kinder kommen mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Der häufigste Defekt ist ein Loch im Herzen. Das kann dazu führen, dass das Herz nicht richtig arbeitet und das Kind sehr krank wird. Da können wir helfen und solche Löcher flicken«, sagt Ida.
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Ihr Arbeitstag beginnt mit der sogenannten Visite. Auf der Kinder-Intensivstation des Herzzentrums kommen die Herzfachleute des UKE im Flur zusammen. Gleichmäßige Piepsgeräusche der Monitore dringen auf den Flur, sonst ist aus den Patientenzimmern nichts zu hören. Viele Kinder schlafen. Alle haben schwere Operationen am Herzen hinter oder noch vor sich. Die Kolleginnen, die die Kinder während der Nacht betreut und beobachtet haben, erzählen, wie es den Patienten geht. Gemeinsam werden die nächsten Schritte besprochen, um den Kindern bestmöglich zu helfen.
Der fünfjährige Laurenz (die Vornamen der Kinder haben wir für diesen Text geändert) wird heute operiert. Er befindet sich bereits in der Obhut eines Anästhesieteams, das sind Fachleute für Narkose. Sie geben Laurenz Medikamente, die dafür sorgen, dass er von der Operation nichts spüren wird. Während des Eingriffs überwachen sie Laurenz’ Vitalwerte wie Blutdruck und Sauerstoff im Blut. Ida sagt: »Herzchirurgie ist Teamarbeit. Jeder Einzelne hier hat eine Aufgabe, ohne die es nicht funktionieren würde. Wir sind mindestens zu acht im Operationssaal.«
Ida wechselt in der Umkleide ihren weißen Ärztinnen-Kittel gegen ein grünes Set aus Hemd und Hose, setzt einen Mund-Nasen-Schutz auf und versteckt ihre blonden Haare sorgfältig unter einer Haube. Durch eine Schleuse geht es in den OP-Bereich. Dort gelten höchste Hygiene-Standards. Penibel achten die Mitarbeitenden darauf, dass alles steril, also keimfrei, bleibt. Schließlich werden Menschen am offenen Herzen operiert. Bakterien könnten eine lebensgefährliche Infektion der Wunde verursachen.
Der kleine narkotisierte Laurenz wird behutsam auf dem OP-Tisch gelagert, Idas Team-Mitglieder schließen ihn an verschiedene Apparate an. Im Waschraum reinigen sich die Operierenden die Arme. Sie tippen auf eine Eieruhr, die drei Minuten runterläuft. So lange müssen sie sich mit Desinfektionsmittel die Arme, Hände und Finger gründlich abwaschen. Danach hilft ihnen eine Assistentin in sterile Einwegkittel und Handschuhe.
Laurenz liegt auf der Seite, weil die Operierenden von dort durch einen kleinen Schnitt zu seinem Herzen gelangen können. Die Stelle an Laurenz’ Haut wird nochmals desinfiziert, dann mit Folie abgedeckt. Idas Kollege Martin, der die OP heute leitet, trägt eine Spezialbrille mit stark vergrößernden Gläsern und eine Kamera mit Licht auf dem Kopf. Das Bild dieser Kamera wird auf verschiedene Monitore im Raum übertragen, sodass alle gut sehen können, was gerade passiert.
Martin setzt das Skalpell an. Die präzise chirurgische Arbeit beginnt. Einige Zeit später ist das Arzt-Team bis zum Herzen vorgedrungen. Auch Laurenz ist eines der Kinder, die ein Loch im Herzen haben. Damit es geflickt werden kann, muss das Herz aufhören zu schlagen. Deswegen wird Laurenz jetzt an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, die während des Eingriffs die Aufgabe des Herzens nach und nach übernimmt.
Die Herz-Lungen-Maschine ist ein großer Apparat mit mehreren Monitoren, sie erinnert ein bisschen an ein Cockpit. Kardiotechniker sitzen daran und bedienen sie. Laurenz’ Herz wird in den Zustand des Flimmerns gebracht. Das bedeutet, dass das Herz so ruhiggestellt ist, dass Chirurg Martin das Loch reparieren kann. Er benutzt einen Flicken aus einem medizinischen Material und näht das Loch mit vielen klitzekleinen Stichen zu. »Die Nadeln, die wir benutzen, sind nur wenige Millimeter groß«, sagt Ida. Deswegen setzt auch sie ihre Spezialbrille auf, als sie Martin dabei hilft, die OP-Wunde bei Laurenz zu verschließen. Nach dem dreistündigen Eingriff geht es für Ida direkt weiter zur nächsten Patientin. Ida operiert ein nur zwei Monate altes Baby. Auch hier verläuft alles nach Plan.
Mittags ist Zeit für eine Pause: etwas trinken, essen, sich die Beine vertreten und zur Toilette gehen. Während der Herz-OPs ist das nicht wirklich möglich. »Wenn es gar nicht anders geht, wird eine Operation unterbrochen, aber dann muss man sich auch wieder komplett neu einkleiden und steril waschen, bevor man wieder an den OP-Tisch geht«, erklärt Ida.
Am Nachmittag haben Ida und ihre Kollegen eine lange Video-Konferenz mit anderen Herz-Fachleuten. Sie schauen sich Ultraschall-Aufnahmen der kranken Herzen an, lesen sich Blutwerte und bisherige Diagnosen durch. Es sind komplexe Fälle, bei denen die Fachleute besprechen, mit welchen Medikamenten oder welcher Operationstechnik den Kranken geholfen werden kann. »Diese Konferenz haben wir jede Woche. Man lernt immer etwas Neues. Aber ich fühle mich am OP-Tisch am wohlsten«, sagt Ida.
Angst vor der Verantwortung, am lebenswichtigsten Organ zu operieren, hat sie nicht. »Ich weiß, was ich kann, und ich mache nichts, was ich nicht kann«, sagt Ida. Ihre Ruhe und Selbstsicherheit sind wichtige Charakterzüge im Umgang mit Patientinnen und Familienangehörigen.
Nach der langen Konferenz ist Idas Tag noch nicht zu Ende. Sie schaut auf der Intensivstation nach Laurenz. Dorthin ist er nach der erfolgreichen Operation gebracht worden. Er ist nicht mehr in Narkose, aber erholt sich noch schlafend von dem Eingriff. Ida tritt an Laurenz’ Bett und spricht ihn trotzdem an: »Hallo Laurenz, ich schiebe mal die Decke ein bisschen zur Seite und nehme deine Hand«, sagt die Herzchirurgin und streichelt über Laurenz’ Finger, »Du hast das ganz prima gemacht«, versichert sie dem schlafenden Jungen. Ida ist sicher, dass er die freundlichen Worte und Berührungen wahrnimmt – wenn auch unterbewusst.
Es ist schon Abend. Jetzt trifft Ida noch den Vater des vierjährigen David für ein sogenanntes Aufklärungsgespräch. Dabei erklärt die Chirurgin ihm Schritt für Schritt den Eingriff, den sie morgen am Herzen seines Sohnes durchführen wird. Da wird sie die Art von Operation leiten, die heute ihr Kollege Martin bei Laurenz durchgeführt hat: Auch David hat ein Loch im Herzen. Idas warmherzige Art und ihre Souveränität vermitteln dem Vater Sicherheit. Das hilft, denn Ida muss ihm auch die Risiken der bevorstehenden Operation erklären. David turnt derweil auf Papas Schoß herum. Am nächsten Morgen sollen David und sein Vater um 6.30 Uhr vor Ort sein. Ob er noch weitere Fragen an sie habe? Kopfschütteln. »Ich vertraue Ihnen«, sagt er.
