Diether Dehm klagt gegen Sahra Wagenknecht: Es geht um das BSW, enttäuschte Gefühle des Musikproduzenten und wohl auch ein bisschen Eigen-PR. Ein Ortstermin
Auf dem Flur des Berliner Landgerichts, vor Saal 2.709, sitzt ein bestens gelaunter Diether Dehm und scherzt mit dem Anwalt von Sahra Wagenknecht. “Nicht wundern, er hat auch schon mal für mich gearbeitet”, ruft er den wartenden Journalisten zu.
Dehm, Ex-Linker und erfolgreicher Musikproduzent (1000 und 1 Nacht), hat schon einige Prozesse in seinem Leben geführt. Zum Beispiel gegen Leute, die ihm vorwarfen, den DDR-Liedermacher Wolf Biermann für die Stasi bespitzelt zu haben. Gegen den Entertainer Florian Silbereisen erstattete er Anzeige, weil dieser in einem von Dehms Songs das Wort “Indianer” durch eine andere Formulierung ersetzt hat.
Jetzt klagt Dehm gegen Sahra Wagenknecht, die Chefin des nach ihr benannten Bündnisses BSW. Deswegen ist Wagenknechts Anwalt gerade sein Gegner, aber die Stimmung bleibt trotzdem freundlich. Dehm will mit dem Prozess erreichen, dass Wagenknecht eine Äußerung über ihn unterlässt. Welche, das hat das Gericht nicht bekannt gegeben, und auch Dehm schweigt vor Prozessbeginn: “Da müssen Sie sich noch ein wenig gedulden.”
Stattdessen posiert der 75-Jährige genüsslich für Fotos: Mit ernster Miene schreitet er den Gang eines der Querflügel des ehemaligen Königlichen Land- und Amtsgerichts entlang. Die Aufmerksamkeit gefällt ihm, der zuletzt politisch völlig isoliert war, sichtlich. Wagenknecht und Dehm kennen sich lange, waren viele Jahre lang politische Weggefährten.
Die Geister der Vergangenheit kommen wieder
Der 75-Jährige war in seinem Leben erst in der SPD, dann in der PDS, dann galt er lange als mächtiger Strippenzieher in der Linken und Freund von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Gemeinsam kämpften sie in ihrer Partei gegen eine zu verständnisvolle Migrationspolitik und für mehr Verständnis mit Russland. In den vergangenen Jahren sorgte Dehm immer wieder mit Beleidigungen und abstrusen (außen)politischen Forderungen für Aufsehen. Den damaligen Bundesaußenminister Heiko Maas nannte er einen “gut gestylten Stricherjungen der Nato”, um nur ein Beispiel zu nennen. Weil er sich seiner eigenen Partei gegenüber illoyal verhalten haben soll, führte die Linke ein Ausschlussverfahren gegen ihn, das aber scheiterte. 2021 zog er nach 16 Jahren nicht mehr in den Bundestag ein. Heute ist der Musikproduzent nach eigenen Angaben parteilos – aber BSW-Sympathisant.
Das Problem ist nur: Als Wagenknecht ihre neue Partei gründete, wurde Dehm nicht gefragt, ob er dabei sein wolle. Sie begründete das strenge Aufnahmeprozedere für Mitglieder des BSW damit, dass junge Parteien “leider oft auch Glücksritter, Narzissten oder Extremisten” anziehen. Wagenknecht wollte ihre Parteineugründung auch dazu nutzen, um sich von Altlasten der Vergangenheit zu befreien, Streithähne und Querulanten rauszuhalten.
Der Rechtsstreit “Dr. Dehm gegen Dr. Wagenknecht” vor dem Landgericht Berlin zeigt an diesem Tag, dass sie die Geister der Vergangenheit noch nicht losgeworden ist. Als der Prozess beginnt, wird klar, dass Dehm vor allem seine persönliche Enttäuschung über Wagenknecht in die Welt hinausrufen möchte: Sie soll nicht mehr behaupten, dass er sich vergeblich um eine Aufnahme in das BSW bemüht habe. Und, wichtiger, sie habe es künftig zu unterlassen, Zweifel an seiner geistigen Gesundheit zu streuen. Wagenknecht wiederum versucht, Dehm abperlen zu lassen: Sie ist vor Gericht nicht persönlich anwesend, lässt sich von ihrem Anwalt vertreten.
Dehms Redebeitrag vor Gericht ist wirr, es geht wild durcheinander. Erst nach und nach kristallisiert sich folgender Sachverhalt heraus: Der Musiker Tino Eisbrenner, der im Wahlkampf mit seiner Band bei zahlreichen Wagenknecht-Auftritten sang, soll Dehm, dem Musikproduzenten, von einem Treffen in Wagenknechts Bundestagsbüro im Frühjahr 2024 berichtet haben. Dort habe Eisbrenner gefragt, warum Wagenknecht denn nicht ihren langjährigen Weggefährten in das BSW aufnehmen wolle. Daraufhin habe Wagenknecht geantwortet, Dehm sei “unzurechnungsfähig, unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig”. Wagenknechts Anwalt weist das zurück. Seine Mandantin habe “maximal von Unberechenbarkeit” gesprochen.
Dehm empört sich außerdem darüber, dass die Ex-Linke in einem Tweet am 25. Februar 2023 schrieb: “Wer Compact ein Interview gibt, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.” Hintergrund war ein Interview des Klägers Dehm mit dem russischen Staatsmedium Druschba, das auch im Magazin Compact des Verschwörungstheoretikers Jürgen Elsässer abgedruckt wurde und nur so vor historisch abwegigen Vergleichen und Verharmlosungen triefte. Das mit dem “nicht mehr alle Tassen im Schrank” habe ihn persönlich enttäuscht, sagt Dehm nun vor Gericht: Jahrelang habe er die heutige BSW-Chefin unterstützt, ihr Mehrheiten auf Linken-Parteitagen verschafft: “Und dann zu sagen: ‘Der ist geistesgestört’, das ist der Punkt, wo ich sage: Ich möchte, dass Schluss ist damit.”
Wagenknecht habe ein “Gerüchtenetzwerk” geschürt, um ihn aus dem BSW herauszuhalten. Einem “sehr prominenten Künstler”, der im September bei Wagenknechts Gaza-Demo vor dem Brandenburger Tor aufgetreten sei, sei über seinen angeblich mangelhaften geistigen Zustand “selbiges gesteckt worden”, erzählt Dehm noch. Gemeint sein kann eigentlich nur der Entertainer Dieter Hallervorden, mit dem Dehm zuletzt das Musikgedicht Gaza, Gaza gemeinsam produzierte. Das Fazit des Musikproduzenten vor Gericht: Es bestehe Wiederholungsgefahr, “meine Angst ist, dass es immer weitergeht”, damit müsse nun Schluss sein. Daher der Unterlassungsantrag.
Ein bisschen Eigen-PR
Der Richter ist wenig überzeugt: Sollte Wagenknecht die von Dehm beanstandeten Aussagen wirklich getätigt haben, sei dies in ihrem Büro passiert, also in einem geschützten Raum. Solche Dinge seien selten justiziabel, auch weil Wagenknecht das Recht habe, die Frage, wen sie in ihrer Partei haben wolle und wen nicht, im kleinen Kreis in klaren Worten zu besprechen. Und ob Dehm sich überhaupt um die Aufnahme ins BSW bemüht habe, oder nicht, wie er nun gerichtlich festschreiben lassen will: “Wie soll das ein Gericht feststellen?”, fragt der Richter. Eine gütliche Einigung scheitert an diesem Tag, nach einer halben Stunde ist alles vorbei. Das Gericht will nun weiter beraten und am 29. Oktober ein Urteil sprechen.
Dehm wirkt davon nicht angefasst. Notfalls werde er in Berufung gehen, erklärt er den Journalisten. Falls er verliert, muss Dehm die Prozesskosten tragen. Doch Geld scheint für den Produzenten mehrerer deutscher Musikhits keine Rolle zu spielen. Zumal er die entstandene Medienaufmerksamkeit gerne nutzt, um Wagenknecht eins auszuwischen.
Genüsslich erzählt Diether Dehm auf dem Gerichtsflur zum Beispiel von den Kontakten, die er trotz Wagenknechts Bann weiterhin im BSW habe. Erst in dieser Woche trat er in ihrem Bezirksverband Hannover auf – und empfahl der Partei, die gar nicht seine ist, in der Friedenspolitik den Schulterschluss mit der AfD zu suchen. Ausgerechnet die in Teilen rechtsextreme Partei also, von der Wagenknecht sich weiterhin distanziert, wenn auch halbherzig. Wenn Oskar Lafontaine und AfD-Chef Tino Chrupalla zur Friedensdemo vor dem Brandenburger Tor riefen, so Dehms Vorschlag, dann würden schon Hunderttausende Demonstranten kommen.
Auch mit einer Koalition zwischen AfD und BSW, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, hätte er nach eigenem Bekunden kein Problem: “Ich möchte keine Brandmauer.” Es sind Äußerungen, die in Teilen der BSW-Anhängerschaft für Zustimmung, in anderen für entsetzte Ablehnung sorgen dürften – etwas, was Wagenknecht, deren Partei nach dem knappen Scheitern bei der Bundestagswahl noch immer in einer tiefen Krise ist, nun gar nicht gebrauchen kann. Zu guter Letzt will Dehm unter den Anwesenden noch Flyer für das neue Buch verteilen, das er geschrieben hat. Die Resonanz ist mau. Aber ein bisschen Eigen-PR hat schließlich noch nie geschadet.
