Der Schutz des Planeten hat nicht einmal mehr seinen eigenen Tagesordnungspunkt. Wenn die Spitzen der EU-Staaten am Donnerstag in Brüssel zum Europäischen Rat zusammenkommen, dann wird auch Klimaschutz auf der Agenda stehen. Doch man muss sie schon genau lesen, um das zu sehen. Klimaschutz wird diskutiert, als ein Punkt unter mehreren, unter der Überschrift „Wettbewerbsfähigkeit“.
Es ist ein Zeichen dafür, wie sich die Stimmung in der Union gedreht hat. Mit dem Green Deal hatte sich die EU vor Jahren aufgemacht, Vorreiter zu werden, wenn es um die Senkung der Emissionen geht – ein ganzer Kontinent auf dem Weg, klimaneutral zu werden. Doch jetzt ächzen weite Teile der EU unter hohen Schulden und einer Wachstumsschwäche, belasten Donald Trumps Zölle und die robuste Wirtschaftspolitik Chinas die Volkswirtschaften der Union. In vielen europäischen Hauptstädten hadert man inzwischen mit der selbst gewählten Rolle. Und das europäische Ringen um die Frage, wie ehrgeizig man sein möchte, könnte dem Klimaschutz auf der ganzen Welt schaden.
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Klima-Zwischenziel 2040: Wie viel weniger darf‘s denn sein?
Im Kern geht es um zwei Jahreszahlen: 2035 und 2040. Nach den Regeln des Pariser Klimavertrags müssen die Vertragsstaaten – darunter die EU als Staatenbund – alle fünf Jahre neue Klimaschutzpläne (Nationally Determined Contributions, NDC) vorlegen, die ehrgeiziger sind als der vorherige Plan. Die Idee: Selbst wenn die Welt zu Beginn nicht ausreichend tut, um Treibhausgasemissionen zu senken, kommt sie diesem Ziel mit der Zeit immer näher.
Dieses Jahr ist das NDC für 2035 fällig. Doch die letzte Frist zur Abgabe dieses neuen Plans hatte die EU im September gerissen. Einigen konnte man sich nur darauf, bis 2035 zwischen 66,25 und 72,5 Prozent Treibhausgase einsparen zu wollen.
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Wichtiger noch ist nach Einschätzung von Fachleuten allerdings die zweite Jahreszahl: Denn während feststeht, dass die EU bis 2050 klimaneutral sein soll, fehlt bislang eine wichtige Wegmarke auf dem Weg dahin: das Ziel für 2040.
Die Europäische Kommission will festschreiben, dass die Emissionen bis dahin um 90 Prozent gesunken sein müssen. Doch dagegen gibt es erheblichen Widerstand, vor allem aus osteuropäischen Ländern wie Polen und Ungarn. Die Bundesregierung hält bislang am 90 Prozent-Ziel fest. Doch auf der europäischen Ebene gibt es auch in der Partei des Kanzlers Zweifel. „Die 90 Prozent sind verdammt ambitioniert“, sagt Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Er findet es „verantwortbar“, bei diesem Ziel etwas nach unten zu korrigieren, etwa auf 87 Prozent.
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Forschende appellieren eindringlich an Regierungschefs
Klimaschützern und Forschenden macht der anschwellende Chor von Stimmen, die weniger Ehrgeiz wollen, Sorgen. Eine Gruppe von rund 2000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern appellierte vor dem Treffen am Donnerstag an die Staats- und Regierungschefs, der Einschätzung des EU-Klimabeirats zu folgen und sich ein Ziel von 90 bis 95 Prozent Einsparung von Treibhausgasen zu setzen. Alles darunter sei nicht im Einklang mit dem Pariser Abkommen, und die Einhaltung des Abkommens sei zentral, wenn es darum gehe, eine vergleichsweise sichere Zukunft zu erhalten.
„Wenn das 2040-Ziel nicht ehrgeizig ist, dann ist das ein gravierendes Problem“, warnt auch Petter Lydén, Experte für internationale Klimapolitik von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch. Denn dann komme der Staatenbund auf einen falschen Pfad, und die Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts sei nur noch schwer zu erreichen. „Ohne ein starkes Ziel für 2040 werden es neuen Klimaschutz-Maßnahmen in der EU schwerer haben.“
Doch wenn sich die Bremser in der EU durchsetzen sollten, hätte das Folgen weit über den Kontinent hinaus. Am 10. November startet im brasilianischen Belém die Weltklimakonferenz. Dort ohne neuen Klimaschutzplan nach den UN-Regeln und ohne eigenes Zwischenziel für 2040 aufzutauchen, wäre für die EU mehr als nur peinlich. Es würde der Verhandlungsposition des Blocks erheblich schaden. „Die EU und Deutschland wollen, dass andere Länder da so ehrgeizig sind wie möglich“, sagt Lydén. „Aber mit einem schwachen NDC ist ihre Verhandlungsposition schlecht. Die EU kann von anderen weniger fordern.“
An den Eckpfeilern des Green Deal wird heftig gerüttelt
In den vergangenen Jahren hatte die EU zu den Staatengruppen gehört, die bei den Verhandlungen über weltweite Klimaschutzbemühungen auf möglichst ehrgeizige Ziele und deren Umsetzung gedrängt haben. Sie bildete damit ein Gegengewicht zu Ländern wie Saudi-Arabien, die an Geschäftsmodellen mit fossilen Brennstoffen festhalten. Der Kreis derjenigen Staaten, die eine Vorreiterrolle wollen, war zuletzt geschrumpft. Mit Donald Trumps zweiten Wahlsieg brachen die USA als Schwergewicht weg.
Und jetzt kommt der Klimaschutz eben auch noch in Europa unter Beschuss. Aus unterschiedlichen Ländern, auch aus Deutschland, wird an Eckpfeilern des europäischen Klimaschutz‘ heftig gerüttelt – am Emissionshandel für die Industrie, den es schon lang gibt, an dem für Gebäude und Verkehr, der 2027 starten soll, am Verbrenneraus 2035 sowieso.
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Umweltminister Carsten Schneider betonte vor dem Gipfel die Notwendigkeit ehrgeiziger Ziele. Es gehe um „die Glaubwürdigkeit des Multilateralismus, die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, es geht aber auch um unsere Erde“, sagte der SPD-Politiker.
Beschlüsse fassen wird der Rat am Donnerstag nicht, doch die Regierungschefs werden eine Richtung vorgeben. Die finale Entscheidung liegt dann bei den Umweltministerinnen und -ministern. Die treffen sich Anfang November, wenige Tage bevor die EU in Belém dem Rest der Welt unter die Augen treten muss.
