Dunkle Materie
Kosmisches Rätsel vor der Lösung? „Könnte unser erster konkreter Hinweis sein“
85 Prozent der Materie im All sind unsichtbar. Doch jetzt haben Forscher im Zentrum unserer Galaxie Spuren entdeckt, die auf ihre wahre Natur hindeuten.
Potsdam – Die moderne Astrophysik steht vor einem fundamentalen Rätsel: Etwa 85 Prozent der gesamten Materie im Universum können bisher weder gesehen noch direkt nachgewiesen werden. Diese sogenannte dunkle Materie verrät ihre Existenz bislang nur durch ihre Gravitationswirkung auf sichtbare Objekte. Doch eine aktuelle Forschungsarbeit liefert nun möglicherweise einen entscheidenden Durchbruch in diesem kosmischen Rätsel.
Im Zentrum der Milchstraße hat das Fermi-Weltraumteleskop eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Gammastrahlen gemessen. „Übermäßig viele Gammastrahlen, die energiereichste Art von Licht im Universum“, beschreibt Noam Libeskind vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) die Beobachtung. „Astronomen auf der ganzen Welt waren erstaunt, und es wurden zahlreiche miteinander konkurrierende Theorien aufgestellt, um den sogenannten ‚Gammastrahlenüberschuss‘ zu erklären“, berichtet Libeskind.
Steckt dunkle Energie hinter überschüssigem Leuchten in der Milchstraße?
Für dieses Phänomen existieren bisher zwei Haupterklärungen:
- Die Strahlung könnte von Millisekunden-Pulsaren stammen – extrem schnell rotierenden Neutronensternen. Diese Theorie weist jedoch Lücken auf, da sie deutlich mehr dieser Objekte voraussetzt, als bisher beobachtet wurden.
- Die Gammastrahlung könnte auch durch Kollisionen von Teilchen dunkler Materie entstehen, bei denen sich diese gegenseitig auslöschen (Annihilation). Allerdings passte die räumliche Verteilung der gemessenen Strahlung bisher nicht zum erwarteten Verteilungsmuster der dunklen Materie.
Könnte sich die dunkle Materie im Zentrum der Milchstraße verraten haben?
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Moorits Muru hat nun mithilfe leistungsstarker Supercomputer ein neues Modell zur Verteilung dunkler Materie in der Milchstraße entwickelt. Die im Fachjournal Physical Review Letters veröffentlichte Studie kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Die dunkle Materie ist keineswegs gleichmäßig sphärisch verteilt, wie bisher angenommen, sondern weist eine abgeflachte und asymmetrische Struktur auf.
„Wir haben festgestellt, dass die Abflachung dieses Bereichs ausreicht, um den Überschuss an Gammastrahlen als Folge der Selbstvernichtung von Teilchen aus dunkler Materie zu erklären“, erläutert Muru. Die Forschungsgruppe verfeinerte ihre Simulationen mit realistischeren Kollisionsszenarien und erreichte damit eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit den vom Fermi-Weltraumteleskop aufgenommenen Gammastrahlen-Karten. Das stärkt die Theorie, dass dunkle Materie tatsächlich für den beobachteten Strahlungsüberschuss verantwortlich sein könnte.
Nicht alle Forscher sind von dunkler Materie überzeugt
Eine geheimnisvolle Materie, die man Gleichungen hinzufügt, um sichtbare Bewegungen zu verstehen – das kann nicht jeder Forscher akzeptieren. Deshalb gibt es zahlreiche Studien, die beobachtbare Phänomene ohne dunkle Materie und dunkle Energie erklären wollen – manche gehen davon aus, dass man eine alternative Gravitationstheorie benötigt, andere stellen in den Raum, dass es weder dunkle Energie noch dunkle Materie gibt. Bisher ist nichts davon endgültig bewiesen – genauso wenig wie die Existenz von dunkler Materie und dunkler Energie.
„Erster konkreter Hinweis auf ihre Existenz“
Joseph Silk von der Johns Hopkins University, ein Co-Autor der Studie, betont die weitreichende Bedeutung dieser Entdeckung: „Dunkle Materie dominiert das Universum und hält Galaxien zusammen. Gammastrahlen könnten unser erster konkreter Hinweis auf ihre Existenz sein.“
Die endgültige Klärung der Frage könnte durch das geplante Cherenkov Telescope Array erfolgen. Mit seiner überlegenen Auflösung verspricht es, zwischen den konkurrierenden Theorien unterscheiden zu können. „Ein eindeutiges Signal wäre ein schlagender Beweis“, sagt Silk. „Oder vielleicht finden wir gar nichts, was dann ein noch größeres Rätsel darstellen würde.“ (Quellen: Pressemitteilungen, Studie, eigene Recherche) (tab)
