Make Social Media small again

Ich habe kürzlich eine Reihe von Social-Media-Apps von meinem privaten Smartphone entfernt – und sie ersetzt. An der Stelle, wo einst die App eines Kurznachrichtendienstes platziert war, ist jetzt ein RSS-Reader – eine fast schon anachronistische Technik, die mir Artikel verschiedener Nachrichtenseiten zusammenstellt. Eine andere App habe ich durch ein seriöses Nachrichtenmedium ersetzt, das ich an prominenter Stelle auf dem Startbildschirm jetzt wöchentlich austausche – der Meinungsvielfalt wegen.

Es ist das erste Mal, dass ich so einen Schritt gehe, seit ich mich Mitte der Nullerjahre erstmals bei Myspace angemeldet habe. Ich verlasse die sozialen Netzwerke nicht grundsätzlich – will ich auch gar nicht. Aber allein, dass ich jetzt einen Umweg über einen Webbrowser gehen müsste, hält mich vom geübten, automatisierten Scrollen durch den Dauerlärm ab.

Offenbar bin ich damit kein Einzelfall: Studien legen nahe, dass Menschen inzwischen weniger Zeit mit den sozialen Medien verbringen und offenbar eine gewisse Müdigkeit eingesetzt hat.

Sumpf der Parallelrealitäten

Social Media, so meine These, ist schon länger kaputt – und mittlerweile vielleicht auch nicht mehr zu retten. Erst diese Woche wurde das wieder deutlich, als sich zum Tod des achtjährigen Fabians dutzende Falschmeldungen auf Tiktok verbreiteten – weil einfach niemand mehr innehalten kann, wenn Klicks, Aufmerksamkeit und Geld locken.

Oder als sich das halbe Internet an der toxischen Beziehung zweier Influencer abarbeitete – weil keiner dieser Menschen jemals gelernt hat, wie man im Internet mit Privatem umgeht, genauso wie ihr Publikum.

Das Problem geht aber tiefer: Das algorithmisch generierte Dauerfeuer an Meinungen, Hass und grobem Schwachsinn, scheint Menschen inzwischen derart den Verstand zu vernebeln, dass sie sich, ohne es zu merken, in Parallelrealitäten wiederfinden – und dort letztendlich verrohen.

Deutungskampf ums Stadtbild

Die von Friedrich Merz losgetretene Debatte um das „Stadtbild“ ist ein gutes Beispiel, wohin das führen kann: Schon seit Monaten versuchen Rechtsextreme, Populisten und ihre Helfer in den sozialen Medien die Erzählung voranzutreiben, in deutschen Innenstädten würden nahezu bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen – ausgelöst natürlich ausnahmslos durch Migranten.

Inhalte zum Thema finden sich zuhauf im Netz: Auf X wird hämisch geraunt, auf Tiktok wird zu KI-generierter Musik der angebliche Untergang Deutschlands herbei getanzt – und auf Youtube bemängeln Reisevlogger die hohe „Talahon-Dichte“ in deutschen Fußgängerzonen, während sie gleichzeitig die Stadtbilder diktatorischer Staaten wie Russland oder China glorifizieren. Andere laufen mit der Kamera durch bekannte deutsche Problemviertel, etwa rund um den Frankfurter Hauptbahnhof, um die angebliche „neue Realität“ Deutschlands und den vermeintlichen Niedergang Europas zu belegen.

Niemand würde bestreiten, dass es in deutschen Innenstädten Probleme gibt – es gibt sie durchaus, oft seit vielen Jahrzehnten, und oft sind ihre Ursachen vielschichtig. Doch dieser einseitige Mix aus politischer Motivation, Klickgeilheit und einer Prise Propaganda zeichnet ein völliges Zerrbild der deutschen Wirklichkeit – befeuert durch Plattformen, deren Besitzer ebenfalls ganz eigene politische Interessen haben.

In den Kommentarspalten solcher Posts und Videos wird das nur selten reflektiert. Kein Wunder: Gerät man erst mal in den Strudel dieser Inhalte, schlägt der Algorithmus immer und immer mehr davon vor – und irgendwann traut man sich nicht mehr auf die Straße. Diese Mechanismen haben das Potenzial, Gesellschaften zu verändern, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Spätestens dann, wenn der Bundeskanzler das Internet-Geraune auf die ganz große Bühne stellt und es zum Staatsthema macht.

Neuer Umgang mit Social Media

All das ist freilich nur ein Beispiel von vielen. Auch im eher linken Netzwerk Bluesky wird tagtäglich aus unterschiedlichsten Gründen der Weltuntergang an die Wand gemalt. Glaubt man Linkedin, dann gibt es ausschließlich beruflich erfolgreiche Menschen – und geht es nach Instagram, dann haben 90 Prozent der Bevölkerung einen Traumkörper samt Waschbrettbauch.

Die Realität ist: Influencer sind selten eine seriöse Quelle, Videos und Bilder können (nicht erst mit dem Aufkommen von KI) manipulieren, steile Thesen funktionieren im Algorithmus-Ranking stets besser als ausgewogene Positionen. Und genau deshalb kann Social Media auch niemals die Realität abbilden, sondern allenfalls einen Teil davon. Und zu wenige Menschen sind sich dessen bewusst.

Um aus dem Teufelskreis herauszukommen, bräuchte es mehr Bildungsangebote zum Thema – am besten schon in Schulen. Allerdings kann sich auch jeder selbst eine gewisse Social-Media-Resilienz antrainieren. Im Zweifel, indem man die Apps einfach mal zeitweise vom Smartphone entfernt und überprüft, was sich dadurch verändert.

Niemand muss sich dauerhaft aus den sozialen Netzwerke ausklinken – schließlich bringen sie auch immer wieder tolle Dinge hervor. Aber es wäre ratsam, den gesellschaftlichen Umgang damit nachzujustieren, ihnen nicht so viel Bedeutung einzuräumen, Medienkompetenz zu erlernen, nicht ständig auf viralen Blödsinn hereinzufallen – das gilt auch für Politiker. Denn am Ende ist es so: Das wahre Leben spielt sich in aller Regel außerhalb der digitalen Weltuntergangsblasen ab. Zum Beispiel im viel zitierten Stadtbild.

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