Manöver in Erding läuft schief: Polizei schießt auf Soldat: „Keiner wusste, was da los ist“

In Altenerding bei München fällt Anwohnern ein bewaffneter Mann auf. Was sie nicht wissen: Es ist ein Bundeswehrsoldat, der an der Großübung „Marshal Power“ teilnimmt. Und offenbar weiß auch die Polizei nicht Bescheid – und schießt auf ihn.

Polizei schießt auf Soldat: „Keiner wusste, was da los ist“

Am Ende ist ein Soldat verletzt. Das bestätigten Polizei und Bundeswehr am späten Mittwochabend. Nach kurzer Behandlung kann der Mann den Angaben zufolge aber aus dem Krankenhaus entlassen werden. Doch auch, wenn der Vorfall für den Soldaten einigermaßen glimpflich ausgegangen ist, dürften die Ereignisse, die sich am Mittwochabend in Erding bei München zugetragen haben, ein größeres Nachspiel haben. Denn der Soldat wurde von der Polizei angeschossen. Auch das wurde von den Behörden bestätigt.

Nach Angaben des zuständigen Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord meldeten Anwohner gegen 17 Uhr eine bewaffnete Person in der Hohenlindener Straße im Ortsteil Altenerding. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot aus, auch ein Hubschrauber war im Einsatz. Vor Ort trafen die Beamten dann tatsächlich auf einen Bewaffneten.

Der stelle jedoch keine Gefahr für Bevölkerung oder Polizei dar, hieß es am Mittwochabend. Vielmehr handele es sich „bei dem mitgeteilten Waffenträger um einen Bundeswehrangehörigen“. Der Soldat sei wegen einer Übung vor Ort gewesen.

Das Anrücken der Polizei haben er und seine Kameraden offenbar für einen Teil der Übung gehalten. Wer dann zuerst das Feuer eröffnet hat, darüber gibt es zunächst unterschiedliche Angaben. Fakt ist aber: Die Soldaten nutzten Manövermunition. Diese knallt, schießt aber keine Projektile ab. Die Polizisten dagegen gingen von einer realen Bedrohung aus und schossen ebenfalls – mit scharfer Munition. Eine Kugel traf laut Polizei dabei den Soldaten.

Das geraniengeschmückte Haus von Tanja Kutschka liegt am Ortsrand von Altenerding und grenzt an das Maisfeld an, in dessen Bereich sich das Geschehen am Mittwoch abgespielt hat. Sie habe gerade im Garten gearbeitet, als sie mehrere Schüsse hörte, wie sie erzählt. Dann seien auf einmal Polizisten „im Laufschritt“ vorbeigekommen. Ihr wurde zugerufen: „Geht’s rein, geht’s rein!“ Da habe sie schnell ihre beiden Kinder, acht und zehn Jahre alt, ins Haus gebracht.

„Die Kinder waren sehr aufgeregt“, sagt Kutschka. Sie waren nicht die Einzigen: Donnerstagfrüh habe sie eine Whatsapp-Nachricht erreicht mit der Information, dass das Geschehen in der Schule besprochen werden soll. „Es sind doch alle sehr erschreckt“, so Tanja Kutschka. Dass in Erding, und noch dazu so nah an ihrem Haus, eine Militärübung stattfinden werde, das habe sie nicht gewusst. „Niemand wusste, was los war“: Diesen Satz hört man im Gespräch vor Ort immer wieder.

Nur ein paar Meter von Kutschkas Haus entfernt befinden sich die Semptsporthalle mit dem Fußballtrainingsplatz der Spielvereinigung Altenerding und das Jugendzentrum Altenerding. „Mein Sohn war im Jugendzentrum und hat die Schüsse gehört. Er ist sofort heimgeradelt“, erzählt Matthias Dasch von der Fußballabteilung des Sportvereins. „Wir wussten alle nicht, was da los war.“ Sicherheitshalber habe der Verein per Whatsapp die nächsten Trainingsstunden abgesagt. Wenig später sei ohnehin „ganz Altenerding abgesperrt gewesen“, so Dasch.

Niemand kam rein, niemand heraus. Für mehrere Jugendliche und Kinder der Spielvereinigung bedeutete das: statt Training ausharren in der Halle. Da alle Zufahrten abgesperrt waren, konnten die Eltern auch ihre Kinder nicht abholen. „Es war ein Chaos“, so beschreibt es Günter Hirsch, der Wirt vom Vereinsheim der Spielvereinigung. Es sei viel gerätselt und telefoniert worden. Aber: „Keiner wusste, was da genau los ist.“

Diesen Mittwoch wird auch eine junge Altenerdingerin nicht so schnell vergessen. Sie erzählt, wie sie nach der Arbeit zufällig am Rewe-Parkplatz vorgekommen sei, dort, wo sich die Polizei gesammelt hat. „Da standen sie: mit Westen, Langwaffen und Helmen.“ Sie sei schnell nach Hause weiterfahren. „Der Anblick war schon gruselig.“

Im Nachgang sprechen Polizei und Bundeswehr von einer „Fehlinterpretation vor Ort“ – offenbar haben die Polizisten die Soldaten nicht als Angehörige der Bundeswehr identifizieren können. Die Gründe dafür blieben zunächst unklar – genau wie die Frage, ob die Polizisten von der vorher groß angekündigten Übung der Bundeswehr rund um Erding wussten.

Nach Angaben der Polizei ist das nicht der Fall gewesen. „Wir wussten nicht, dass zu diesem Zeitpunkt dort geübt wird“, sagte ein Sprecher des Präsidiums in Ingolstadt. „Bei der Übung gestern war die Polizei in Erding auch nicht involviert.“ Über die groß angelegte Übung habe man zwar Bescheid gewusst. Allerdings sei nicht bekannt gewesen, dass deswegen am Mittwoch in Erding bewaffnete Kräfte unterwegs sein könnten.

Jetzt werde „intensiv geprüft“, wo es zu einer „Kommunikationspanne“ gekommen sein könnte. Die Bundeswehr hatte vor Beginn der Übung noch verlautbaren lassen: „Alle Übungsaktivitäten sind im Vorfeld mit den zuständigen Kommunen und Behörden abgestimmt.“ Inwieweit das erfolgt ist, ist noch weitgehend offen. Eine Pressesprecherin des Landratsamts Erding sagte auf Nachfrage, die Behörde sei in diesem Fall nicht für die Kommunikation zuständig gewesen.

Die Bundeswehr hatte Informationen zu der Großübung zwar vorab im Internet veröffentlicht, der Landkreis Erding wurde darin aber nicht explizit als Übungsort genannt. Einzelne Anwohner in Erding berichteten Medien zufolge, dass sie von dem Training der Bundeswehr dort nichts gewusst hatten.

Die Polizei stehe mit der Bundeswehr „in engem Austausch“, erklärte das zuständige Präsidium weiter. Dabei gehe es darum, die Hintergründe des Vorfalls „schnellstmöglich aufzuklären“. Die Kriminalpolizei Erding ermittelt gemeinsam mit Spezialisten des Bayerischen Landeskriminalamts. Die Polizei betont, dass zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Bevölkerung bestanden habe.

Erdings Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) meldete sich am Donnerstag per Pressemitteilung zu Wort: „Die missglückte Kommunikation zwischen Polizei und Bundeswehr ist in meinen Augen eine absolute Katastrophe und es muss sichergestellt werden, dass sich so etwas nie wiederholen wird“, so der Landrat. Der Landkreis Erding und die betroffenen Städte, Märkte und Gemeinden seien im Vorfeld der Übung im September 2025 über das grundsätzliche Prozedere informiert worden, die genauen Abläufe wurden jedoch nicht mitgeteilt, heißt es weiter. Eines betont das Landratsamt im letzten Satz: „Die Kommunikationshoheit lag ausschließlich bei der Bundeswehr.“

Die Bundeswehr übt mit rund 800 Soldaten und anderen Einsatzkräften

Bei der Großübung „Marshal Power“ übt die Bundeswehr den Kampf hinter einer fiktiven Frontlinie im Verteidigungsfall – zusammen mit Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften. Das Besondere: Die etwa 500 Soldaten der Feldjäger und die rund 300 zivilen Einsatzkräfte üben nicht auf abgezäunten Truppenübungsplätzen, sondern in der Öffentlichkeit.

Die Einsatzkräfte sollen laut Bundeswehr zum Beispiel das Vorgehen gegen Drohnen, Sabotage oder sogenannte irreguläre Kräfte trainieren. Damit sind bewaffnete Kämpfer gemeint, die nicht einer staatlichen Armee zuzurechnen sind. Ob die bei dem Schusswechsel involvierten Soldaten solche irregulären Kräfte darstellen sollten, also ohne erkennbare Armeezugehörigkeit unterwegs waren, war zunächst nicht klar.

Angenommen wird für die Übung ein Szenario, in dem ein Nato-Mitgliedsstaat angegriffen wird und das Bündnis verteidigt werden muss. Dabei sollen auch die Arbeit an Tatorten, die Lenkung des Verkehrs, das Aufspüren von Waffenlagern, die Bekämpfung von illegalem Waffenhandel und der Schutz von kritischer Infrastruktur trainiert werden, zum Beispiel am stillgelegten Atomkraftwerk Isar 2. Auch die Abwehr von gegnerischen und den Einsatz von eigenen Drohnen sollen die Soldaten üben.

Der Tatort wurde abgesperrt, im Tagesverlauf werde die Spurensicherung fortgesetzt, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstagmorgen. Auch vonseiten der Bundeswehr hieß es, dass der Vorfall weiter untersucht werde. Die Feldjäger versuchten in Zusammenarbeit mit der Polizei aufzuklären, wie es zu dem Missverständnis gekommen sei, sagte ein Sprecher des Operativen Führungskommandos. Außerdem solle entschieden werden, ob die Militärübung in Bayern fortgesetzt werde oder nicht.

Am Donnerstagnachmittag hieß es dann, die Übung werde fortgesetzt: Das teilte die Bundeswehr auf ihrer Internetseite zur Übung namens „Marshal Power“ mit.

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wollte sich am Donnerstag noch nicht zu dem Thema äußern. Sein Haus verwies auf Nachfrage auf die Informationen des zuständigen Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord. Die Aufklärung, wie der Vorfall zustande kam, werde zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt vonstattengehen, hieß es. Der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses im Bayerischen Landtag, Florian Siekmann (Grüne), sagte: „Irgendwo ist in der Kommunikation gewaltig etwas schiefgelaufen.“ Dazu will er in der kommenden Woche eine Plenar-Anfrage an die Staatsregierung stellen. Vor allem dazu, „wie feingliedrig“ der Austausch der Behörden untereinander erfolgt sei; vor der Übung und auch am Mittwochabend nach der ersten Alarmierung. Dem verletzten Soldaten wünscht Siekmann eine schnelle Genesung.

Der Deutsche Bundeswehrverband teilte nach Medienberichten mit: Der Vorfall zeige auf, dass die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Behörden in Ländern und Kommunen „öfter geübt werden muss und da sind wir gerade dabei“.

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Bayern, Jürgen Köhnlein, sagte der SZ: Er sei froh, dass nichts Schlimmeres passiert sei außer einer Streifwunde. Es gebe kurz nach dem Vorfall, „noch zu wenig belastbare Informationen“ für eine konkrete Stellungnahme seiner Gewerkschaft. Abzuwarten sei die Aufklärung der Abläufe vom Mittwoch. Allerdings rücke damit die Kommunikation bei Übungen der Bundeswehr in den Fokus, zumal wenn sie im öffentlichen Raum stattfänden. Unabhängig von der offenbaren Panne sagte Köhnlein: Es habe sich gezeigt, dass die bayerische Polizei „schlagkräftig“ sei und in Alarmsituationen wie der Meldung von Langwaffen im öffentlichen Raum reagieren könne.

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