Literatur
Marion Fayolle: „Aus gleichem Holz“ – Tür an Tür mit der Kuh
„Aus gleichem Holz“: Comiczeichnerin Marion Fayolle erzählt in ihrem ersten Roman von der untergehenden Welt französischer Kleinbauernhöfe.
Man verbringt sein ganzes Leben unter ein und demselben Dach, auf der einen Seite des Hofes wird man geboren, man stirbt auf der anderen, in dem Teil, der für die Alten bestimmt ist, und dazwischen kümmert man sich um die Tiere im Stall. So nüchtern bringt die in Frankreich populäre Comicautorin Marion Fayolle, geboren 1988 und aufgewachsen teils auf dem Hof der Großeltern in der Ardèche, den Zyklus einer bäuerlichen Existenz zusammen. Sie schildert ihn in ihrem Romandebüt „Aus gleichem Holz“, im vergangenen Jahr auf Französisch veröffentlicht, nun in einer sorgfältigen Übersetzung der Schweizer Romanistin Ruth Gantert auch auf Deutsch.
Im Schlafzimmer gibt es eine Tür, die direkt in den Stall führt. Nicht mehr als ein paar Holzbretter trennen das Bett der Eltern von jenem der Kälber. Von Kindheit an ist man es gewohnt, im Geruch der Tiere zu schlafen, ihr Muhen zu hören und das Gerassel der Ketten. Was sich in die Träume der Kinder einschleicht.
Die Spiegelung der Nähe von Mensch und Tier ist ein wichtiges Motiv am Anfang dieses in seiner schlichten Erzählweise bestechenden, schmalen und von der Autorin selbst als „teilweise autobiografisch“ deklarierten Buches. Nicht unwahrscheinlich, dass dieses kondensierende Erzählen durch die Erfahrung der Arbeit an den Comics befördert ist.
An einer Stelle wird geschildert, wie eine Kuh, ausgerechnet die beste und dem Bauern liebste im Stall – keine Marotten, immer leichte Geburten, nie ein entzündetes Euter, gut gedeihende Kälber –, ungeahnt „durchdreht“. Dieses eine Mal nimmt sie ihr Kalb nicht an; wäre sie nicht angebunden, sie würde es töten. Der Bauer gibt sie, schweren Herzens, zum Schlachter. Einer aus der Familie ist ebenfalls verrückt geworden, der Großonkel, der eine Fasanin abgöttisch liebt. Er wird versteckt in einer Kammer hinter der Küche.
Dieser Roman führt in eine Welt, die am Untergehen ist. Seit Jahrzehnten werden sie weniger, diese kleinen Höfe, an ihre Stelle treten solche mit gewaltigen Hallen als Ställen. Eine zeitliche Zuordnung hat Fayolle vermieden – es sind die sechziger und siebziger Jahre, die man assoziiert.
Das Buch
Marion Fayolle: Aus gleichem Holz. Roman. A. d. Franz. v. Ruth Gantert. Atlantis, Zürich 2025. 128 S., 20 Euro.
Es geht immer wieder um die Dinge, die sich über Generationen übertragen, ungebeten. Das Essen der Mutter mit der Omama stellt sich als ein Stelldichein mit den eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten dar. Mit dem, was zu werden die Mutter sich weigert. Da werden Worte ausgesprochen, die man später bereut. Die Tochter leidet an ihrer Seele und will nichts essen. Die Schwermut ist erblich in der Familie, keiner weiß, woher das kommt. Manche versinken im Wahnsinn. Der Vater trinkt und arbeitet zu viel.
Es gelingt Fayolle, ein Bild zu zeichnen, das für ein Typisches gelten kann. Einen Namen bekommt hier keiner. Sie sind der Opapa, die Omama, der Vater, die Mutter, die Kleine, der Schwager undsofort. Es geht nicht um das individuelle Schicksal, es geht um eine bestimmte Form des Lebens. So ist es auf dem Bauernhof. Die Detailliertheit ist lakonisch-präzise. Verklärendes Kolorit liegt Fayolle, bei aller Liebe, so fern wie Nostalgie.
Sie erzählt ohne einen Ton der Bitterkeit, dabei mit einem zuweilen schon fast satirischen Zug. Fayolle zeigt, dass es sich um eine Idylle gehandelt hat und um eine – Hölle wäre zu viel gesagt. Da ist diese Enge, es bleibt für die jungen Leute nur der Aufbruch. Wenn jemand aber weggeht, heißt es an einer Stelle, komme das einer Explosion gleich. „Die Entdeckung des Draußen.“ Der Stadt, mit Kinos, mit Küssen in den Kinos … . Nicht das Leben der Eltern führen, sondern eines, das sie allein erfinden.
Alle Jüngeren leben längst ganz anders
Die erste Schwangerschaft weckt bei der großen Kleinen die Befürchtung, die Schwermut und das Saufen könnten sich von Opapa und vom Vater auf Böhnchen, das Kind übertragen.
Der Untergang manifestiert sich am Ende. Niemand will den Hof übernehmen. Die Kinder haben sich komfortable, gut beheizte Häuser gebaut, näher an der Stadt, in der sie arbeiten. Der Hof ist veraltet. Die große Kleine, auch das spielt eine Rolle, hätte es niemals übers Herz gebracht, ein Tier zum Metzger zu schicken.
Unwirtschaftlichkeit ist das eine, doch es ist zuallererst ein neues Lebensgefühl der nachgewachsenen Generation, das diese archaische Welt verschwinden lässt. Die große Kleine hat mit rasch wechselnden Männern geschlafen – bevor die große Liebe „wie der Blitz in die Kühe“ bei ihr eingeschlagen ist. Für Mutter und Omama einst nicht denkbar.
