Viersen-Süchteln. Seit einem Jahr bietet das Viersener Krankenhaus mit der sogenannten inhalativen Sedierung ein neues Verfahren für Patienten auf der Intensivstation an. Warum die Methode nicht nur auf die Behandlung, sondern auch auf die Genesung einen großen Einfluss hat.
Mehr Selbstbestimmung und eine stärkere Beteiligung am Behandlungsprozess: Für Intensivpatienten des St.-Irmgardis-Krankenhauses in Viersen sind solche Bedürfnisse kein Wunschdenken mehr. Seit rund einem Jahr setzt die Intensivstation ein sogenanntes inhalatives Sedierungsverfahren ein. Wie das neue Verfahren funktioniert und welche Vorteile es bietet.
Patienten auf der Intensivstation befinden sich in unterschiedlich kritischen Zuständen und bedürfen daher einer besonders sorgfältigen Behandlung, permanenter Überwachung und engmaschigen Untersuchungen. Die Sedierung, also Betäubung oder Narkose, spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie birgt aber auch immer ein Risiko, dass Komplikationen, gerade bei ältere Patienten, auftreten können. „Daher sedieren wir so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich“, erklärt Jessica Görgens, Chefärztin der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin im St.-Irmgardis-Krankenhaus.
In der Regel werden Patienten auf der Intensivstation intravenös sediert, erhalten das Narkosemittel also über die Vene. Mithilfe des neuen Mirus-Systems setzt das Ärzte- und Pflegeteam nun auf die inhalative Sedierung – ein Verfahren, bei dem die Tiefe des Dämmerschlafs so exakt wie bei keinem anderen Verfahren gemessen werden kann und dabei minutengenau über die Atmung gesteuert wird. „Dadurch bleiben unsere Patienten wacher, sicherer und stärker am Behandlungsprozess beteiligt,“ erklärt Chefärztin Görgens.
„Durch das neue System können wir relevante Daten des Patienten wie Geschlecht, Gewicht und Größe eingeben, um die Tiefe der Sedierung genau zu bestimmen“, ergänzt Georg Zahn, Bereichsleiter der Notaufnahme und Intensivstation. Ein entscheidender Faktor sei dabei die schnelle Erholungszeit: „Sobald die Sedierung beendet wird, sind die Patienten innerhalb von nur zehn Minuten vollständig wach. Bei der herkömmlichen Sedierung kann das unter Umständen mehrere Tage dauern.“
Gemeinsam mit der Intensivmedizinerin Görgens hospitierte Zahn vor fünf Jahren an der Uniklinik Freiburg im Breisgau, das für eine sedierungsfreie Intensivtherapie bekannt ist. „Wir waren begeistert, wie frühzeitig die Patienten wieder mobilisiert wurden und in einem wachen und ansprechbaren Zustand waren“, berichtet Zahn.
Um das Verfahren auch in der eigenen Intensivstation anzuwenden, lieh sich das Viersener Krankenhaus zunächst ein Sedierungsgerät zur Probe. Seit einem Jahr verfügt die Station über zwei Geräte und hat bisher durchweg positive Erfahrungen mit dem neuen System gemacht.
„Normalerweise ist die Wahrnehmung in der Aufwachphase sehr eingeschränkt, was bei vielen Patienten zu Angst- oder Panikzuständen führt“, erklärt Zahn. Durch das inhalative Mirus-System können die Patienten nicht nur mitbestimmen, sondern auch mithelfen und aktiv kommunizieren, was auch den Angehörigen hilft. „Die Patienten wissen, was mit ihnen passiert.“
Im Gegensatz zur intravenösen Sedierung, die die Intensivpatienten im Süchtelner St.-Irmgardis-Krankenhaus nach wie vor wählen können, kann durch das neue Verfahren auch ein sogenannter Medikamentenüberhang im Körper vermieden werden. Kreislauf und Organe werden durch die neue Variante geschont und es kommt zu weniger Verwirrtheitszuständen sowie Depressionen als unter herkömmlichen Sedierungen.
„Durch die flachere und sanftere Narkose können die Patienten ihre Bedürfnisse und Schmerzen äußern, mit dem Team kommunizieren und sogar aktiv an Atemübungen oder der Mobilisation teilnehmen. Das bedeutet echte Mitbestimmung – auch in einer Lebensphase, die von Abhängigkeit geprägt ist“, erläutert Zahn.
Auch auf die Genesung kann die inhalative Sedierung einen großen Einfluss haben. Denn gerade auf der Intensivstation ist es wichtig, die Betroffenen nicht zu passiv werden zu lassen, sondern möglichst früh – sofern es der Zustand zulässt – zu mobilisieren, um einen Muskelabbau und Langzeitfolgen für das Nervensystem zu verhindern. „Die Atemmuskulatur nimmt sehr schnell ab, wenn der Körper an ein Beatmungsgerät angeschlossen ist“, sagt Zahn. Unter der inhalativen Sedierung könnten die Beatmungszeiten verkürzt werden, das wiederum führe zu kürzeren Aufenthalten auf der Intensiv- und Normalstation, erklärt Chefärztin Görgens. „Eine effizientere Nachsorge und eine frühere Mobilisation führen dann zu einer schnelleren Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben“, erläutert die langjährige Anästhesistin.
Die inhalative Sedierung ist vor allem für ältere Patienten geeignet, aber auch solche mit Lungenvorerkrankungen profitieren vom neuen Verfahren im St.-Irmgardis-Krankenhaus. „Unsere Patienten berichten uns immer wieder, dass sie, neben den gesundheitlichen Vorteilen, besonders das Gefühl schätzen, auf der Intensivstation nicht völlig fremdgesteuert zu sein“, so Georg Zahn.
(jur)
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