Nexperia: Produktionsstopp bei VW? Das sagt der Autobauer

Die deutschen Autobauer bekommen die Lieferprobleme beim niederländischen Chiphersteller Nexperia zu spüren – auch Volkswagen hält Auswirkungen auf die Produktion für möglich. Zuvor hatte bereits der Verband der Automobilindustrie (VDA) davor gewarnt, dass die Situation „schon in naher Zukunft zu erheblichen Produktionseinschränkungen, gegebenenfalls sogar zu Produktionsstopps führen, falls die Lieferunterbrechung von Nexperia-Chips nicht kurzfristig behoben werden kann.“ Wichtige Fragen und Antworten.

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Was macht VW?

VW lässt im Stammwerk Wolfsburg die Produktion zeitweise ruhen, weist aber einen Zusammenhang mit den Lieferengpässen bei Nexperia zurück. „Im Rahmen einer vorgesehenen Inventurmaßnahme auf den Fertigungslinien der Modelle Golf und Tiguan im Werk Wolfsburg, wird am kommenden Freitag, 24. Oktober, die Produktion temporär ruhen“, sagte ein Sprecher dieser Redaktion. In der Woche darauf sei vorgesehen, die Fertigung im Regelbetrieb wieder aufzunehmen. „Etwaige Auswirkungen aufgrund eines möglichen Engpasses bei der Verfügbarkeit von Bauteilen stehen mit der Inventurmaßnahme in keinem Zusammenhang“, so der Sprecher weiter.

Zuvor hatte die „Bild“ berichtet, VW habe einen Produktionsstopp wegen Nexperia verhängt. Laut VW ist Nexperia zwar kein direkter Lieferant des Konzerns. Einige Nexperia-Bauteile würden allerdings „in unseren Fahrzeug-Komponenten verwendet, mit denen uns unsere direkten Lieferanten versorgen.“ Die Lage sei dynamisch. Und: Auswirkungen auf die Produktion könnten kurzfristig „nicht ausgeschlossen“ werden, ergänzte der Sprecher.

Warum ist Nexperia so wichtig für die deutsche Autobranche?

„Nexperia spielt in der Autoindustrie eine Schlüsselrolle“, sagte der Automobilexperte Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA) dieser Redaktion. Nexperia, einst Teil des niederländischen Philips-Konzerns, aber mittlerweile in Händen des halb-staatlichen chinesischen Unternehmens Wingtech, liefert sehr viele der sogenannten diskreten Halbleiter. Das sind einfache elektronische Bauteile wie Dioden, Transistoren oder sogenannte MOSFETs (Leistungstransistoren, die Stromflüsse schalten und regeln). Reindl zufolge sind diese eher unscheinbaren Komponenten in nahezu jedem Steuergerät eines Autos verbaut: in Motorsteuerungen, in der Bordelektrik, in Ladegeräten von Elektroautos und in Batteriesystemen. „Ohne sie läuft keine Elektronik“, bringt es der Fachmann auf den Punkt. Und das gilt eben auch für Autos von VW.

Problematisch für die deutschen Autobauer ist die große Abhängigkeit von Nexperia. Schätzungen zufolge stammen rund 40 Prozent dieser Bauteile im Automobilbereich von dem Anbieter. „Viele deutsche Zulieferer und Hersteller haben die Chips des Unternehmens fest in ihren Fahrzeugplattformen eingeplant und freigegeben“, erklärte Reindl weiter. Ohne geht es also nicht.

Wie konnte es dazu kommen?

Bei Nexperia gibt es Lieferprobleme, nachdem die niederländische Regierung die Kontrolle über die bisher von der chinesischen Konzernmutter geführten Firma übernommen hatte. China blockierte danach die Ausfuhr bestimmter, in China montierter Nexperia-Chips. Die Niederlande hatten dabei zuvor auch auf Druck der US-Regierung reagiert: Die Nexperia-Mutter Wingtech steht seit Dezember auf einer US-Liste von Unternehmen, die den nationalen Sicherheits- und außenpolitischen Interessen der USA zuwiderhandeln. Die Chipherstellung steht im Zentrum des zwischen China und den USA schwelenden Handelskonflikts.

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Ist mit Produktionsstopps zu rechnen?

Durchaus. „Ein Produktionsstillstand ist nicht ausgeschlossen, vor allem wenn sich die Exportbeschränkungen aus China länger hinziehen“, sagte Fachmann Reindl. Das Risiko hänge aber stark davon ab, ob Hersteller Zweitquellen für die betroffenen Teile hätten oder nicht. Viele Zulieferer setzten nach wie vor auf nur einen einzigen qualifizierten Lieferanten. Falle dieser aus, fehlten sofort Komponenten. Gebe es hingegen mehrere Lieferanten oder Lagerbestände, lasse sich der Ausfall zumindest kurzfristig abfedern, so Reindl.

Warum ist es bisher nicht gelungen, die Abhängigkeit von China zu reduzieren?

Der Experte sieht dafür mehrere Gründe. Erstens: Technische Hürden sind hoch. Neue Bauteile müssen aufwendig geprüft und vom Autohersteller freigegeben. Zweitens: Der Markt für diese einfachen Komponenten wie sie Nexperia liefert, ist vergleichsweise klein. „Die Herstellung ist wenig profitabel, und es gibt weltweit nur einige wenige Anbieter, die die strengen Automobilstandards erfüllen“, erklärte Reindl. Und drittens: Zwar habe sich die Branche nach der Chipkrise 2021 um komplexe Halbleiter – etwa Mikrocontroller – gekümmert, einfachere Chips jedoch blieben lange außen vor. Diese entstünden laut Reindl jetzt vor allem auf älteren Fertigungslinien. Doch Produktionskapazitäten sind weltweit knapp – und stark in Asien konzentriert.

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Was sollte die Industrie aus dem Nexperia-Fall jetzt lernen?

Experte Reindl sieht Europa in der Verantwortung, jetzt endlich die Widerstandsfähigkeit seiner Lieferketten auch bei grundlegenden Bauteilen zu stärken. Das gelte nicht nur für Halbleiterchips. Nötig sei mehr Fertigung und Montage auf dem Kontinent. „Es aber reicht nicht, nur auf modernste Chipfabriken zu setzen. Auch die Verpackung, Prüfung und Qualifizierung einfacher Halbleiter muss hierzulande stattfinden“, forderte Reindl, der aber auch die Autoindustrie selbst in die Pflicht nimmt.

VW, BMW & Co. sollten ihre Lieferketten robuster aufstellen. Reindl zufolge bedeute das, dass jede wichtige Komponente mindestens zwei freigegebene Lieferanten haben sollte. Nur dann könne man schnell umschalten, wenn ein Anbieter ausfalle. Darüber hinaus empfiehlt er für besonders kritische Teile, verbindliche Mindestlagerbestände festzulegen. Politisch empfiehlt er, Europas außenwirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu stärken. Man brauche abgestimmte Strategien und diplomatische Kanäle, um Lieferausfälle rasch abzufangen.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) mahnte die Industrie generell, sich resilienter aufzustellen. „Strategische Abhängigkeiten müssen identifiziert und reduziert sowie Alleinstellungsmerkmale der deutschen Wirtschaft gefördert werden, um global wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Melanie Vogelbach, DIHK-Bereichsleiterin Internationale Wirtschaftspolitik, zu dieser Redaktion. Konkret brauche man mehr strategische Rohstoffpartnerschaften mit verlässlichen Ländern, einen massiven Ausbau von Recycling und Kreislaufwirtschaft und eigene europäische Verarbeitungskapazitäten. Auch weitere Handelsabkommen und Investitionsabsicherungen mit rohstoffreichen Ländern wie Brasilien, Malaysia und Indonesien seien notwendig. 

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