Und im Winter kommen die Eichhörnchen. Das stellt man sich pittoresk vor, wie sie Spuren im Schnee hinterlassen, vielleicht aufs bunt angemalte Kuh-Kunstwerk im großen Garten gehüpft sind, auf jeden Fall haben sie jede Menge Bäume zum Aufenthalt und Orte fürs Nüsseverstecken gehabt. Jetzt aber, an einem etwas diesigen Tag im Herbst, ist das Vogelvolk im Garten der Villa von Monika und Horst Bülow unterwegs.
Der Gründer des Bauunternehmens Bülow AG und Tierfreund hätte sicher zu sagen gewusst, um welche Tiere genau es sich handelt. Und wer in einem der bequemen Korbstühle Platz nimmt, schaut auf eine geradezu arkadische Landschaft. Ein Rückzugsort vom Feinsten mit einem uneinsehbaren Grundstück, halb so groß wie ein Fußballfeld, auf dem seit Ende der 1970er eine extravagante Architektenvilla steht – und das von Werner Sahm geplante Gebäude hat eine deutlich andere Anmutung als die geradlinigen Glasbauten, die Bülows Firma geplant hat, wie sich beim Besuch des Anwesens zeigen wird.
Villa in Leonberg mit südfranzösischem Flair
Also, Naturschönheit in Leonberg, im Sommer dürften die Kiefern südfranzösischen Flair versprühen, passend zur provençalisch angehauchten Innenarchitektur. Heute wallen Nebel zwischen den Laub- und Nadelbäumen, jede Menge Grün – es ist ein 3600 Quadratmeter großes Grundstück – beruhigt schon nach wenigen Minuten die Nerven angespannter Großstädter.
Das wird vermutlich auch Horst Bülow und seiner Ehefrau Monika so ergangen sein. Auch, wenn er in den letzten Jahren längst nicht mehr jeden Tag von Leonberg aus nach Stuttgart ins Büro gefahren ist. „Wenn Herr Bülow einmal nicht im Büro war, hat er angerufen – wir haben täglich miteinander telefoniert“, erinnert sich Ina Schediwy mit einem Lächeln. „24 Jahre haben wir zusammengearbeitet und in dieser Zeit habe ich ihn immer als einen sehr ausgeglichenen Menschen erlebt.“
Rückzugsort für den Stuttgarter Bauunternehmer
Ein Telefon von Horst Bülow steht immer noch im Salon, nebst Notizzetteln und Stiften. Zwar sind die Bilder längst abgeholt worden – unter anderem Werke von Günther Uecker, Andy Warhol, Willi Baumeister und von Luigi Fontana –, doch ansonsten wirkt der helle und großzügige Wohntrakt der Villa mit ihren stolzen 765 Quadratmetern Wohnfläche und den wenigen verbliebenen antik anmutenden Sesseln, dem Flügel, der Hausbar und dem Designerteppich im Entrée noch ziemlich wohnlich. „Alle wertvollen Dinge sind bereits abtransportiert“, sagt Ina Schediwy.
Haus, Kunst, Wein und Schmuck werden versteigert
Auf einem Couchtisch liegt ein großer Bildband, der Titelseiten der „Bild“-Zeitung versammelt. „Wer die Bülows nicht kennt, hat Stuttgart verpennt“, hat die Zeitung einst über das „Power-Pärle“ getitelt und ja, da ist etwas dran. Auch wer den Bauunternehmer und seine Gattin nicht persönlich kannte, die Bauten kennt jeder.
Einige tragen seinen Namen, der Bülow-Turm in der Heilbronner Straße und das Bülow-Carré in der Lautenschlagerstraße beispielsweise. Wer in Dresden schon fein logiert hat, etwa im Bülow Palais und der Residenz, der schlief in einem Hotel von Bülow. „Beide Immobilien wurden vergangenes Jahr noch durch Herrn Bülow verkauft“, sagt Ina Schediwy. Das große rote Herz aus einer der Herbergen verschönert aktuell noch eine Ecke im Garten.
Auch der Erlös des Hauses geht an die Bülow-Stiftung
Nun, nach dem Tod des Ehepaars Bülow, das sich in der Firma kennengelernt und 1974 geheiratet hatte, wird ihr persönlicher Nachlass veräußert: Schmuck, Gitarrensammlung, Wein, Kunst und jetzt auch ihre Villa. Monika Bülow verstarb bereits im Jahr 2021, Horst Bülow im April 2025, kurz nach seinem 85. Geburtstag.
Der gesamte Erlös kommt der Bülow-Stiftung zugute, die sich dem Natur-, Umwelt- und Tierschutz widmet. „Es ist eine Herzensangelegenheit. Sie ist Ausdruck tiefster Dankbarkeit gegenüber der Natur und ihrer unermesslichen Kraft, Leben zu schenken“, heißt es auf der Homepage der Stiftung. Angesichts der Tatsache, dass im Bausektor vieles der Natur entnommen wird und der CO2-Verbrauch hoch ist, ist das auch irgendwie passend.
Herzensprojekt von Monika und Horst Bülow
Ein Biosphärengebiet im Schwarzwald wird unterstützt, Klimaschutzprojekte und ein Kinderbuch gibt es auch. „Gemeinsam mit dem WWF hat die Bülow-Stiftung ein liebevoll illustriertes Kinderbuch über den Schutz von Insekten herausgebracht und es an über 1700 Kitas verschenkt“, berichtet Ina Schediwy. „Für Monika und Horst Bülow war es ein echtes Herzensprojekt.“
Für knapp fünf Millionen Euro soll das Objekt angeboten werden. „Es ist ein herrliches Anwesen auf einem großartigen Grundstück“, sagt die Immobilienmaklerin Kerstin Schmid. „Wir werden sehen, ob das Objekt für einen Bauträger interessant ist, der ein Mehrfamilienhaus mit Wohnungen auf den zwei Flurstücken errichtet oder ob wir Interessenten finden, die sich in das Haus verlieben.“
Ein besonderes Objekt mit viel Aussicht auf Grün
Es müssten Menschen sein, die das Besondere schätzen. Denn das Ehepaar bewohnte nicht ein Haus, sondern lauter zum Teil verschieden hohe Pavillons – alle mit Sicht auf die Natur, selbst im kleinen, zur Straße hin sich orientierende Frühstückspavillon hat man das Gefühl, mitten in einem Wald zu sitzen. Dass in naher Nachbarschaft durchaus einige andere Wohnhäuser stehen, ist vom Haus aus niemals sichtbar.
Es sind achteckige Räume, die miteinander verbunden sind. Betritt man die Villa, befinden sich linkerhand die Gesellschaftsräume: mit Salon, Küche (mit zartrosa Fronten), einem Billardsalon, Arbeits-, Wohn- und Essräumen und einer Wendeltreppe, die hinauf auf eine Empore führt – ein Leserückzugsort mit Ausblick.
Türknauf mit Kussmund
Die Räume sind von einer entspannten Atmosphäre durchflutet, die Gebrauchspuren der Möbel, Teppiche sprechen von solidem Qualitätsbewusstsein, was einmal für gute und selbst erarbeitete Deutsche Mark erstanden wurde, wurde gepflegt, aber auch bewohnt, es ist ein Zuhause, kein Showroom.
Rechterhand geht es in die Interior-Welt von Carlo Rampazzi, ein italienischer Künstler und Créateur eleganter Räume. Der raumgreifende Teppich im hell gefliesten Entrée mit vielen Farben und blutrotem „Love“-Schriftzug ist eigens für die Bülows entworfen worden. Ebenso die Schlaf- und Schrankräume mit maßgefertigten Einbauschränken – ein Kussmund jeweils als Türknauf hatte der Designer entworfen, für Horst Bülow sind es Rosen-Türgriffe. „Es ist eine große Liebe zum Detail überall im Haus zu spüren“, sagt die Immobilienmaklerin. Und das Design ist geprägt von einer extravaganten Handschrift, ohne Furcht vor pastellfarbener Opulenz, fernab von dem heute so beliebten schnörkellos skandinavischen Wohntrend.
Die Schränke bieten Platz für eine ziemlich üppige Garderobe. Das Badezimmer mit roséfarbenem Marmor ist ein Durchgangsraum und von zwei Seiten aus zu betreten, von den Rückzugsräumen der Dame und des Herren des Hauses. Etwas dezente Farben, helles Gelb, dunkles Grün finden sich bei den Einbauten in Horst Bülows Reich – und immer der Blick frei durch die bodentiefen Fenster in den Garten, auf Hortensien, Stauden, Bäume.
Bekannte Projekte der Stuttgarter Bülow AG
- Bülow Turm
- Cororado Turm
- Bülow Carré / Century
- Office One
- Skyline
- Porsche Design Tower Stuttgart
- Vision One
- Stuttgarter Höfe
Von hier aus geht es zum Schwimmbad, das einen fröhlichen Siebzigerjahre-Optimismus versprüht. 1976 entstanden die Pläne fürs Haus: Hellblaue Fliesen, gelb- und orangefarbene eingearbeitete Blumenmuster. So lange blieb dieses Dekor erhalten, jetzt wäre es schon wieder ein Retro-Trend.
Beim Rundendrehen konnten die Bewohner eine überdimensional große Fotografie vom Segelschiff betrachten, „Herr Bülow war auch ein passionierter Segler“, sagt Ina Schediwy. Ein Schwarz-Weiß-Foto des ersten Segelbootes „Benny“ hängt immer noch in der Garage, von der aus es zu den Gästeräumen, einer Einliegerwohnung und in den Weinkeller geht.
1800 Flaschen lagerten im Weinkeller
Mehrere Experten des Auktionshauses Nagel sind an dem Tag in dem kühlen Raum zugegen, betrachten die Etiketten, fotografieren, inventarisieren, erstellen Listen am Computer, packen peu à peu die 1800 Flaschen ein. Einige sind aus dem Anwesen im südfranzösischen Cannes, das auch noch verkauft wird. Sie seien perfekt gelagert, sagen die Experten, wenden sich dann wieder der Arbeit zu.
Die Weine, darunter wertvolle Bordeaux-Jahrgänge sind inzwischen abgeholt und werden, ebenso wie der Schmuck und die Kunst, am 11. November versteigert. Und wenn sich der erste Frost bildet, der erste Schnee fällt, kommen die Eichhörnchen in den Bülow-Garten nach Leonberg. Dann auch irgendwann vermutlich die Bagger – oder ein Architekt, der neuen Besitzern dabei zur Seite steht, dem Pavillon-Haus zeitgemäßen Charme zu verleihen.
Bilder von der Villa und von Bauprojekten finden sich in der Bildergalerie.
Info
Bülow AG
Das Bauunternehmen hat derzeit 30 Mitarbeiter. Aktuelle Projekte sind etwa die Stuttgarter Höfe in Bad Cannstatt und das Quadro in Zuffenhausen.
Versteigerung
Die Sammlung von Monika und Horst Bülow wird im Auktionshaus Nagel (Neckarstraße 189 – 191) in Stuttgart am 11. November versteigert. Eine Besichtigung ist vom 7. bis 10. November 2025, 11 bis 17 Uhr möglich. Der Erlös geht ebenso wie der Verkaufserlös der Villa an die 1984 gegründete Bülow-Stiftung.
