Schülerpraktikum bei der AfD: Ein Praktikant am rechten Rand

Ein Schüler will bei der AfD ein Praktikum machen. Der Schulleiter sagt: Nein, die Partei gilt hier als gesichert rechtsextrem. Fehlende Neutralität oder angemessen?

Nur wenige Minuten von der S-Bahn-Endhaltestelle Teltow entfernt, kurz hinter der Berliner Stadtgrenze, hinter einer Tankstelle und neben einem Supermarkt, steht ein sternförmiges Gebäude mit großen Glasfenstern und Holzelementen: die Grace-Hopper-Gesamtschule. Worte wie ‘Selbstwirksamkeit’ und ‘Talententfaltung’ stehen in großen Buchstaben auf dem Schulgebäude. Aus den Einfamilienhäusern und Wohnblöcken drumherum schlendern Schülerinnen und Schüler zum Unterrichtsbeginn. In Jogginghosen, in Daunenjacken, mit Eastpak-Rucksäcken über der Schulter. Manche werden von den Eltern an der stark befahrenen Straße vor der Schule abgesetzt. Ob sie von dem Vorfall gehört haben, der an ihrer Schule für Schlagzeilen sorgt? “Ja, auf TikTok”, sagen manche, andere: “Nein”, oder: “Interessiert mich nicht”.

Das Interesse an dem Fall, der dafür sorgt, dass ihr Schulleiter seit über einer Woche angefeindet und bedroht wird, ist bereits weit über diesen Berliner Vorort hinaus zu spüren. Regionale und überregionale Zeitungen haben darüber bereits berichtet.

Im Kern geht es darum: Ein Zehntklässler wollte ein Schülerpraktikum machen – bei der AfD. Doch der Schulleiter verweigerte ihm das. Gefundenes Fressen für die AfD: Lena Kotré, Vizevorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg, machte den Vorgang öffentlich. Bei einer Pressekonferenz erzählte sie, der Schüler habe schon einmal ein Praktikum bei der AfD gemacht, nun sei es ihm nicht mehr gestattet worden. Kotré sprach von einem “Fall von Indoktrination”. Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Politikerin hält den Vorgang für “untragbar”.

Unter dem Video der Abgeordneten auf Facebook und anderen Plattformen empören sich AfD-Unterstützer. “Dieser Lehrer müsste gleich zur Rechenschaft gezogen werden”, schreibt ein Nutzer. Andere schreiben: “Dann besucht den Typen doch mal. Nur Labern reicht halt nicht”, “Schulleiter zu Hause besuchen. Und Klartext reden”. In den Kommentaren fragen sie nach seinem Namen und der Adresse. Manche Drohungen sind noch expliziter.

Der Schulleiter wird im Netz angefeindet

Der Schulleiter will sich auf Anfrage der ZEIT nicht äußern. Er begründet seine Absage damit, dass AfD-Anhänger ihn über die sozialen Medien noch immer stark anfeinden. Unterstützt wird der Pädagoge vom Brandenburger Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Dem Schulleiter sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen, sagt Alexander Engels, Pressesprecher des SPD-geführten Ministeriums. Der Verfassungsschutz hat die AfD in Brandenburg als gesichert rechtsextreme Bestrebung eingestuft. Der minderjährige Schüler wäre “ohne pädagogische Begleitung und vergleichende Einordnung unmittelbar der erwiesen demokratiefeindlichen Ideologie der Partei ausgesetzt gewesen”. Auch der Schulleiter habe die Absage des Praktikums damit begründet, dass die AfD in Brandenburg rechtsextrem sei. Zum Zeitpunkt des ersten Praktikums war das noch nicht der Fall. 

Der Zehntklässler selbst teilt auf seinen öffentlichen Social-Media-Profilen ein Video der Pressekonferenz von Lena Kotré. Die Inhalte auf seinen Accounts geben Einblick in seine politische Ausrichtung. Der Schüler postet Bilder von Demonstrationen, an denen er teilgenommen hat, Selfies mit AfD-Politikern wie Hans-Christoph Berndt und Dennis Hohloch, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden. In Videos ruft der Schüler dazu auf, die AfD zu wählen. Er beschreibt sich als nationalkonservativ und patriotisch. Manche seiner Posts sind inzwischen nicht mehr öffentlich einsehbar. Auf Anfragen der ZEIT reagiert er nicht.

Keine Aufregung im Unterricht

Ein Mitschüler aus der Grace-Hopper-Gesamtschule erzählt, dass er von der Praktikumsabsage erst einmal verwirrt gewesen sei. Schließlich habe der Schüler schon vorher ein Praktikum bei der AfD absolviert. Für die Klasse spiele das Thema aber keine große Rolle. Auch in den anderen Klassen scheint der Fall “Praktikumsverbot”, den AfD-Unterstützer in den sozialen Medien als Skandal ausrufen, nicht so wichtig zu sein. Die Lehrer hätten die Schülerinnen und Schüler über den Vorfall informiert, erzählen ein paar von ihnen. Wie sie es denn fänden, dass der Schulleiter das Praktikum verboten habe? “Ich weiß nicht”, sagt der eine, “Ist mir egal”, der andere. Teenager eben.

Hier, ein paar Hundert Meter hinter der Berliner Stadtgrenze, ist die AfD unter den Wählern nicht die stärkste Kraft, sondern die CDU. Bei der Bundestagswahl im Februar lag die Partei in Teltow bei rund 20 Prozent, gut zehn Prozentpunkte unter dem Brandenburger Durchschnitt. Auch aus dem Umfeld der Schule hört man, dass die AfD im Schulalltag sonst keine große Rolle spiele. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg hatte die AfD jedoch verstärkt auch Wahlkampf an Schulen angekündigt. Unter den 16- bis 24-Jährigen erreichte die Partei vergangenes Jahr 31 Prozent der Stimmen und war damit stärkste Kraft in dieser Altersgruppe. Junge Menschen wählen auch bundesweit zunehmend die AfD.

Schulen müssen mit der AfD umgehen

Die Frage danach, wie Schulen mit der AfD umgehen sollten, fordert Lehrkräfte seit Jahren heraus. Gerade in Bundesländern, in denen die AfD im Landtag sitzt, müssen sich Schulen zunehmend mit der teilweise als rechtsextrem eingestuften Partei beschäftigen. Der Umgang sorgt immer wieder für Diskussionen. Werden AfD-Vertreter zu Schulveranstaltungen eingeladen, kommt Kritik aus der Schüler- und Elternschaft. Wird die AfD nicht eingeladen, beschwert sich die Partei über angeblich fehlende Neutralität. Gleichzeitig will die AfD politische Bildung an Schulen einschränken, wie sie zuletzt in Sachsen-Anhalt ankündigte. Immer wieder stellt die Partei in den Landesparlamenten Anfragen zu antirassistischer und demokratischer Bildungsarbeit an Schulen.

In Bayern attackierte die AfD vergangenes Jahr einen Lehrer, der seine Schüler auf eine Demonstration gegen Rechtsextremismus hingewiesen hatte. Die daraus folgende Dienstaufsichtsbeschwerde und die privaten Einschüchterungen sorgten dafür, dass der Lehrer sich in seinem Beruf nicht mehr wohlfühlte, berichtete er der ZEIT. Diese Angst vor Attacken durch die AfD könnte dazu führen, dass Lehrer politische Themen im Unterricht meiden. Recherchen des ZDF Magazin Royale und der Plattform Krautreporter legen nahe, dass die AfD Lehrkräfte strategisch einschüchtern will. Dass die Partei das Praktikumsverbot an der Grace-Hopper-Gesamtschule öffentlich macht, passt gut in diese Strategie und das Narrativ der Partei: Seht her, man cancelt uns, und das ist antidemokratisch.

Geht es hier um Meinungsfreiheit?

Dennis Hohloch, Geschäftsführer der Brandenburger AfD-Fraktion und ehemaliger Lehrer, ruft in einem Post auf Instagram Schüler dazu auf, sich “jetzt erst recht” für Praktika bei der Partei zu bewerben. Auch bei ihm sei bereits ein Praktikum verboten worden, sagt der ebenfalls als rechtsextrem eingestufte Politiker. Dabei lerne man im Landtag doch, wie Politik funktioniere, wie Gesetzgebungsverfahren gesteuert würden, wie der Alltag eines Abgeordneten aussehe, schreibt Hohloch auf Instagram. Lena Kotré beschreibt die Aufgaben in einem Praktikum bei der AfD-Fraktion gegenüber der ZEIT als “Bürotätigkeiten sowie die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen”. Beide verweisen darauf, dass die AfD auch ein Ausbildungsbetrieb sei. Die Partei spricht davon, dass an den Schulen Meinungsfreiheit unterdrückt werde.

Das Brandenburger Bildungsministerium hält genau in diesem Punkt dagegen. Im Bundesschulgesetz seien “die Freiheit des Gewissens sowie Offenheit und Toleranz gegenüber unterschiedlichen kulturellen, religiösen, weltanschaulichen und politischen Wertvorstellungen, Empfindungen und Überzeugungen” festgeschrieben. Kein Schulleiter müsse ein Praktikum erlauben, das diesen Grundlagen widerspreche, findet das Ministerium. 

Ein Neutralitätsgebot gibt es nicht

Auch der Verweis auf den sogenannten Beutelsbacher Konsens, der Grundsätze politischer Bildung festhält, kann die Empörung der AfD nicht begründen. Der Beutelsbacher Konsens wird oft als Neutralitätsgebot missverstanden. Er beschreibt jedoch nur, dass Lehrer ihre Schüler nicht mit ihrer eigenen Meinung überrumpeln dürfen, gesellschaftliche Kontroversen im Unterricht darstellen müssen und ihre Schüler dazu befähigen sollen, eigene Urteile zu fällen. Lehrkräfte sind durch den Beutelsbacher Konsens nicht zur Neutralität verpflichtet. Sie müssen sich dagegen aber an die freiheitlich-demokratische Grundordnung, das Grundgesetz und die Schulgesetze halten. In Teltow lässt sich kein Bruch dieser Regeln erkennen.

Das Schülerpraktikum, das der Schüler aus Teltow nun in einem anderen Betrieb leisten musste, ist mittlerweile vorbei. Über die Herbstferien wird in der Grace-Hopper-Gesamtschule Ruhe einkehren. Die Diskussion darüber, wie mit der AfD an Schulen umzugehen ist, wird bleiben.

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