Sigrid Nikutta: Andere sind güter

Hippes Image, mehr Umsatz – so wollte Sigrid Nikutta die defizitäre Bahn-Gütersparte sanieren. Nun ist sie gescheitert. Auf ihre Nachfolge warten schwierige Aufgaben.

Am Ende war der Druck zu groß. Sigrid Nikutta, die Chefin der Gütersparte der Deutschen Bahn muss gehen. Darauf haben sich die neue Bahnchefin, Evelyn Palla, und Werner Gatzer, der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bahn, geeinigt, wie die ZEIT aus Unternehmenskreisen erfuhr. Kommende Woche Donnerstag soll der Aufsichtsrat die Entscheidung bestätigen. 

Wirklich überraschend kommt der Rauswurf nicht. Nikutta hatte es seit ihrer Berufung zur DB-Cargo-Chefin im Jahr 2020 nicht geschafft, das chronisch defizitäre Unternehmen zurück in die Gewinnzone zu führen. Im Gegenteil: Zwischenzeitlich war der jährliche Verlust sogar weiter gestiegen. Und zuletzt wuchsen auch die Zweifel daran, dass Nikutta die Wende schaffen kann. 

So hat die Unternehmensberatung Oliver Wyman in der vergangenen Woche ein internes Gutachten vorgelegt, wonach Nikuttas Sanierungskonzept nicht dazu geeignet sei, “eine nachhaltige Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit der DB Cargo AG” sicherzustellen. 

Kurz zuvor hatte die einflussreiche Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bereits den Rauswurf von Nikutta gefordert. “Die Bilanz von Frau Nikutta ist verheerend”, schrieb Cosima Ingenschay, stellvertretende EVG-Vorsitzende und Mitglied des Bahn-Aufsichtsrats, in einem Brief an Palla und Gatzer. Die Managerin komme ihrer Führungsverantwortung nicht nach. “Eine Zukunft für die DB Cargo kann es nur geben, wenn Frau Nikutta dort keine Zukunft mehr hat.” 

Dabei kam die Managerin vor gut fünf Jahren noch mit expliziter Unterstützung der EVG zur Deutschen Bahn. Ihr trauten die Arbeitnehmervertreter den Job zu. Schließlich war es Nikutta gelungen, die hoch verschuldeten Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wieder profitabel zu machen. Warum sollte das nicht auch bei der DB Cargo gelingen? 

Weniger produktiv als die Konkurrenz

Das dachte sich wohl auch Sigrid Nikutta: Wie bei der BVG setzte die Managerin zu Beginn alles daran, der DB Cargo ein hipperes Image zu verpassen. Sie entwickelte den Slogan “Andere sind gut, wir sind güter”, schaltete Werbespots vor der Tagesschau und platzierte grüne Cargo-Container bei Musikfestivals, um dort für das Unternehmen zu werben. Gleichzeitig setzte sie auf Wachstum. Ein höherer Umsatz sollte endlich zu Gewinnen führen.  

Wirklich funktioniert hat diese Strategie allerdings nicht. Zwar wussten die Besucher des Lollapalooza-Festivals nun, dass es die DB Cargo gibt, zu mehr Aufträgen führte das jedoch nicht. Statt der von ihr angestrebten zehn Prozent Wachstum stagnierte das Geschäft.  

Zum Teil lag das auch an der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg. Beide Krisen ließen Lieferketten einbrechen und die Wirtschaft langsamer wachsen. Außerdem verursachte die alte und kaputte Infrastruktur der Deutschen Bahn immer häufiger Verspätungen

Also versuchte Nikutta, die DB Cargo neu zu strukturieren. Das war dringend nötig. Das Unternehmen arbeitet weit weniger produktiv als private Wettbewerber. So war es bei der DB Cargo lange vorgeschrieben, dass die Lokführer ihren Arbeitstag am Wohnort beginnen und beenden. Bei der Konkurrenz ist es dagegen möglich, dass die Mitarbeiter am Ende eines Arbeitstages im Hotel übernachten. Dadurch schaffen die Lokführer bei gleicher Arbeitszeit längere Fahrten, weil sie nicht große Teile des Tages mit der Fahrt nach Hause verbringen.

Die Gewerkschaft EVG hatte sich jahrelang gegen eine Modernisierung dieser Regeln gewehrt. Nikutta gelang es, einen Kompromiss zu finden. Außerdem baute sie Personal ab. Mehr als 3.000 Mitarbeiter mussten das Unternehmen in den vergangenen Jahren verlassen.  

Das alles verbesserte die Bilanz. Im ersten Halbjahr 2025 lag der Verlust vor Steuern und Abschreibungen bei 96 Millionen Euro. Im kompletten Jahr 2024 betrug das Minus noch rund 350 Millionen Euro.   

Allerdings ging die Verbesserung nicht nur auf Restrukturierungen und Entlassungen zurück, sondern auch auf sogenannte Einmaleffekte. Nikutta ließ zum Beispiel Waggons und Loks verkaufen, um die Bilanz zu verbessern.  

Die von der Bahnführung beauftragten Oliver-Wyman-Berater bezweifelten jedenfalls, dass Nikuttas Veränderungen ausreichen, um das Unternehmen langfristig wieder profitabel zu machen. Sie hatten ein neues Sanierungskonzept der Managerin im Auftrag des Konzernvorstands geprüft und monierten, dass die darin prognostizierten Ergebnisverbesserungen nicht mit konkreten Maßnahmen hinterlegt seien. Einige Annahmen seien zudem sehr optimistisch und im momentanen Markt- und Wettbewerbsumfeld “wahrscheinlich nicht erreichbar”.   

Wie schon ihre Vorgänger ist Sigrid Nikutta vor allem daran gescheitert, eine Lösung für den hochdefizitären Einzelwagenverkehr zu finden. Dabei sammelt die DB Cargo einzelne Güterwagen bei Unternehmen wie Volkswagen, Wacker Chemie oder Riva Stahl ein. Mehr als 1.500 Gleisanschlüsse gibt es dafür. An Rangierbahnhöfen werden die Waggons dann zu längeren Einheiten verbunden, durchs Land gezogen und an den Zielbahnhöfen wieder verteilt. Der Betrieb ist extrem teuer, da viel Personal benötigt wird und die Waggons noch per Hand zusammengekoppelt werden. Weit mehr als zwei Drittel der DB-Cargo-Verluste entstehen im Einzelwagenverkehr.   

Die Lage ist paradox, zwar betonen die Stahl- und Chemieindustrie regelmäßig, wie wichtig ihnen der Einzelwagenverkehr ist und wie viele Arbeitsplätze daran hängen. Die Unternehmen sind allerdings nicht bereit, höhere Preise zu zahlen. Auch die Politik will an der Sparte festhalten, auch um eine Verlagerung von der Schiene auf die Straße zu verhindern und so die Klimaziele einzuhalten. Sie fördert den Einzelwagenverkehr auch mit 300 Millionen Euro im Jahr. Doch das reicht eben nicht, um die Verluste auszugleichen.  

Große Herausforderungen für Nachfolger

Nicht geholfen hat Nikutta auch ihre Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Die Managerin spricht regelmäßig auf Empfängen oder Netzwerktreffen. Auch auf der Karriereplattform LinkedIn ist sie sehr aktiv. Fast jede Woche setzt sie dort einen Post ab. Häufig geht es um sie und persönliche Auszeichnungen, selten um das Unternehmen. Diese Gute-Laune-Posts haben nicht nur Kunden von DB-Cargo irritiert. Nikutta hat so auch das Vertrauen der Belegschaft verloren. Im April postete die EVG einen ironisch-fiktiven Kalendereintrag von Nikutta bei Instagram. Für 8 Uhr war dort “LinkedIn Post vorbereiten” eingetragen, für 10 Uhr “Brunch mit einer Social-Media- Agentur”. Der Termin “Cargo-Zukunftskonzept umsetzen” ist dagegen mit einem “Abgesagt”-Hinweis versehen. 

Nun darf Nikutta die DB Cargo tatsächlich nicht mehr in die Zukunft führen. Evelyn Palla, die neue Bahnchefin und Werner Gatzer, der Aufsichtsratsvorsitzende der Bahn haben ihr das Vertrauen entzogen. Das ist angesichts der Ergebnisse der vergangenen Jahre ein logischer Schritt. Außerdem hilft die Entscheidung Palla dabei, die Geschichte vom “kompletten Neuanfang” weiterzuerzählen, den sie seit ihrer Berufung vor einem Monat verspricht. 

Wer Nikutta nachfolgen wird, ist noch unklar. Der Druck, der auf dieser Person lasten wird, ist jedenfalls immens. Die EU-Kommission hat aus Wettbewerbsgründen entschieden, dass der DB-Konzern ab 2025 nicht mehr die Verluste der DB-Cargo ausgleichen darf. Ab 2026 muss die Gütersparte wieder Gewinne erwirtschaften. Andernfalls könnte das Unternehmen abgespalten werden.

Hinweis: In einer früheren Version des Textes hatten wir geschrieben, Cosima Ingenschay sei stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der DB Cargo. Sie ist aber stellvertretende Vorsitzende der EVG und Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn. Wir haben den Fehler korrigiert.

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