Neuer Film über den Rockstar
Springsteen in der Krise: Ein Film über die dunkelsten Stunden des Boss
Schon wieder ein Bio-Pic über einen Rockstar? Ja, diesmal aber anders: „Deliver me from Nowhere“ zeigt Bruce Springsteens dunkle Stunden – mit „The Bear“-Star Jeremy Allen White als Boss in Bestform.
Die schmerzhaftesten Momente deines Lebens sind am Ende wohl auch die interessantesten, sagt Bruce Springsteen über diesen Film, den er eng begleitet hat und der auf Interviews mit ihm basiert. Kein kleines Wagnis, denn „Deliver me from Nowhere“ funktioniert nicht wie andere biografische Rockstar-Filme. Hier steuert nichts auf einen heroischen Moment zu (wie etwa „Bohemian Rhapsody“ auf das letzte Queen-Konzert oder „A complete Unknown“ auf Bob Dylans Rockstar-Werdung). Regisseur Scott Cooper, der bereits „Crazy Heart“ über einen abgehalfterten Rocksänger (Jeff Bridges) drehte, zeigt Bruce Springsteen in einer seelischen Krise und nicht dabei, wie er da herauskommt. Aber immerhin: Er zeigt, wie er währenddessen große Kunst macht – „Nebraska“, das Album, das viele für sein bestes halten.
Täuschend echt: Mit verzerrter Visage, weit aufgerissenen Augen und Halsschlagadern wie Gartenschläuchen brüllt White „Born to run“
Ist das genug, um ein Publikum zu fesseln, das mit Springsteen nicht gut vertraut ist? Es hilft ungemein, dass „The Bear“-Star Jeremy Allen White den depressiven Boss zum Niederknien spielt: Mit verzerrter Visage, weit aufgerissenen Augen und Halsschlagadern wie Gartenschläuchen brüllt er in der Eröffnungsszene täuschend echt „Born to run“ ins Mikro. Geboren, um davonzulaufen. Das ist Springsteens Lebensmotto bis dahin.

1981 ist er auf dem Sprung zum Weltruhm. Die Plattenfirma wartet auf einen Nachfolger zum Erfolgs-Album „The River“ und Singles wie „Hungry Heart“. Doch als er nach New Jersey zurückkehrt, fällt er in ein Loch. Seine Kindheit holt ihn ein: Flashback-Szenen in Schwarz-Weiß, wie sein betrunkener Vater (Stephen Graham) ihn traktiert, seine Mutter (Gaby Hoffmann) selbst schutzbedürftig ist. Er bandelt mit der jungen Mutter Faye (Odessa Young) an, voller Schuld, die Fehler seines Vaters zu wiederholen. Er mietet sich in einem Haus am See ein. Dort hört er Suicide-Lieder und schaut Filme wie „Badlands“. Wie Martin Sheen da den Vater seiner Geliebten erschießt und alles hinter sich abfackelt, so klingen auch die Songs, die Springsteen im Schlafzimmer mit einem Kassettenrekorder aufnimmt. Im Text des Titelsongs „Nebraska“ über einen Massenmörder auf dem elektrischen Stuhl ändert er das „er“ kurzerhand in ein „ich“ um. Viel mehr passiert nicht, die ganze Dramatik entspinnt sich daraus, dass Springsteen irgendwann bemerkt, dass diese Aufnahmen, in denen insgesamt 13 Menschen und ein Hund ums Leben kommen, keine Demos sind, wie er geglaubt hat. Sondern dass er sie in genau dieser Form veröffentlichen will. Als musikalischen Exorzismus.
Wer mit Billie Eilish und ihren Wohnzimmer-Produktionen groß wurde, versteht Stringsteens Radikalität womöglich nicht
Unter-20-Jährigen, die mit Billie Eilish groß geworden sind, ist wohl kaum vermittelbar, wie radikal dieser Schritt zu einer Zeit war, in der Musiker ihre Songs noch nicht mit entsprechender Software zu Hause aufnahmen. „Nebraska“ musste seinerzeit wirken wie Karriere-Selbstmord. Springsteens Manager Jon Landau, lakonisch-loyal gespielt von Jeremy Strong, gibt denn auch den Vermittler zwischen den Welten. Zu den berührendsten Szenen des Films gehört, wie er und Springsteen Gesten der Zärtlichkeit austauschen. Auch Odessa Young gibt dem Film Halt – selbst wenn die Affäre ihrer Figur mit Springsteen zu nichts führt außer der Erkenntnis, dass er geboren war, um davonzulaufen.
So macht vor allem die Schauspiel-Riege „Deliver me from Nowhere“ auch für Uneingeweihte zu etwas Besonderem. Für Fans ist der Film eh ein Muss. Wie White in Jeans und mit hochgerollten Hemdsärmeln „Born in the U.S.A.“ singt, jagt einem Schauer über den Rücken. Zur Wahrheit gehört ja auch: Die Plattenfirma hätte „Nebraska“ nicht durchgehen lassen, hätte der Boss seinen nächsten und größten Hit nicht zumindest schon mal in der Hymnen-Version vorgespielt. Der heroische Moment, auf den alles zuläuft, liegt also gleich um die Ecke.
