„Stadtbild“-Streit: Spahn springt Merz zur Seite, Klingbeil geht auf Distanz

Der Titel hätte kaum passender sein können. „Merz. Auf der Suche nach der verlorenen Mitte“ heißt das Buch, über das der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und heutige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Armin Laschet, am Dienstagabend im Düsseldorfer Künstlerverein „Malkasten“ sprach. Das Buch, das die „Zeit“-Journalistin Mariam Lau geschrieben hat, geht der Frage nach, ob ein Konservativer wie Friedrich Merz die demokratischen Institutionen vor rechten Anfeindungen schützen und zugleich den Weg für gesellschaftlichen Aufbruch ebnen kann. Die Debatte darüber führt geradewegs zur „Stadtbild“-Aussage des Kanzlers, über die nun schon seit Tagen gestritten wird.

So kritisch wie Laschet, der 2021 vergebens versucht hatte, für die Union das Kanzleramt zu retten, ist bisher noch kein prominenter Christdemokrat mit den Worten von Merz ins Gericht gegangen. Als „zu nebulös“ bezeichnete Laschet die Äußerungen. Merz hatte kürzlich in Potsdam auf die Erfolge der Bundesregierung in der Migrationspolitik hingewiesen und dann gesagt: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“ Laschet warnte nun davor, dass die AfD aus diesen Worten Profit ziehen könnte. Die Unklarheit dessen, was Merz damit gemeint habe, könnte die Partei für sich nutzen, sagte Laschet. Man werde die AfD nicht schwächen, wenn man das Problem lediglich benenne. „Das Pro­blem lösen wird sie mehr schwächen als das Benennen.“

„Die sehen ja, was los ist auf den Straßen“

Laschet ist zwar bekannt, spielt allerdings seit seinem Scheitern als Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl 2021 machtpolitisch in der CDU keine Rolle mehr. Immerhin spricht manches dafür, dass so wie er einige derjenigen in der Partei denken, die zur Zeit von Kanzlerin Angela Merkel gerade in der Migrationspolitik deren Kurs für den richtigen gehalten haben, den von Friedrich Merz also kritisch sehen. Der von Laschet erhobene Vorwurf der Unklarheit findet sich auch bei anderen Christdemokraten, etwa in der Bundestagsfraktion. Schon am Montag hatte Dennis Radtke, der Bundesvorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA, zwar Merz’ klare Abgrenzung von der AfD gelobt und ihm recht gegeben in der Forderung einer optimistischen Zukunftserzählung. Die von ihm losgetretene Stadtbilddebatte bewirke das Gegenteil.

Insgesamt wird der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende jedoch von seiner Partei in der aktuellen Debatte unterstützt. Der Vorsitzende der Unionsfraktion, der CDU-Abgeordnete Jens Spahn, sagte, die Debatte beschäftige Bürger mit und ohne Migrationshintergrund. „Die sehen ja, was los ist auf den Straßen. Wir haben ganze Stadtteile, da sieht man nur noch Männer, kaum Frauen, wenn, dann mit Kopftuch oder verschleiert. Wir haben Straßenzüge, wo Juden sich nicht trauen, Kippa oder Davidstern zu zeigen. Das hat was verändert“, äußerte Spahn im Sender RTL/ntv. Es gebe zudem Viertel, „in denen Schwule und Lesben sich nicht mehr zeigen, wie sie sind, wen sie lieben, aus Angst davor, angefeindet zu werden.“ Spahn sagte, es gebe auch Bahnhöfe und Marktplätze, an denen „junge Männer, oft ausreisepflichtig, rumlungern, die Leute anmachen, Frauen ansprechen“.

Hält die eigene Partei weitestgehend zu ihrem Vorsitzenden, so ebbt die Kritik von links nicht ab. Die Vorsitzende der Linke-Fraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, warf Merz vor, er instrumentalisiere Frauen für „blanken Rassismus“. Am Mittwochabend demonstrierten vor der CDU-Zentrale in Berlin, dem Konrad-Adenauer-Haus, nach Polizeiangaben etwa 2000 Menschen gegen die Äußerungen von Merz. Die Veranstalter sprachen von 7500 Teilnehmern. Unter ihnen waren die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge und die frühere Grünen-Parteichefin Ricarda Lang.

Proteste von links und aus der Opposition dürften Merz und seine Mannschaft erwartet haben. Interessanter ist für ihn, ob und in welchem Maße der sozialdemokratische Koalitionspartner sich diesen anschließt. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner griff den Kanzler am Mittwoch scharf an: „Mit seinen Stadtbild-Äußerungen vergreift sich der Bundeskanzler im Ton. Er bedient eine Ausländer-raus-Stimmung, bietet keine Lösungen an und stiftet damit sozialen Unfrieden“, sagte er dem „Tagesspiegel“. Am Nachmittag äußerte sich dann auch Vizekanzler Lars Klingbeil: „Wir müssen als Politik auch höllisch aufpassen, welche Diskussion wir anstoßen, wenn wir auf einmal wieder in wir und die unterteilen, in Menschen mit Migrationsgeschichte und ohne“, sagte der SPD-Chef auf einem Gewerkschaftskongress in Hannover.

„Ich sage euch sehr klar, ich möchte in einem Land leben, in dem Politik Brücken baut und Gesellschaft zusammenführt, statt mit Sprache zu spalten“, sagte Klingbeil weiter. „Und ich sage euch auch: Ich möchte in einem Land leben, bei dem nicht das Aussehen darüber entscheidet, ob man ins Stadtbild passt oder nicht.“

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