DIW-Chef Marcel Fratzscher sieht in den Äußerungen des Kanzlers einen „erheblichen wirtschaftlichen Schaden für Deutschland“. Wie kommt er darauf? Ein Kommentar.
Bei manchen politischen Debatten geht es zu wie auf der Kirmes meiner Kindertage. Neben der Wahrsagerin mit schwarzer Katze und Glaskugel gab es für die Halbstarken auch immer eine Attraktion mit dem Namen „Hau den Lukas“. Man konnte sich da – Geschick und Stärke vorausgesetzt – leicht als Kraftmeier beweisen. Der eigentliche Reiz aber lag darin, dass jeder nach Herzenslust draufschlagen konnte. Womit wir bei Friedrich Merz und der Stadtbilddebatte wären. Wie schon zuvor bei den „kleinen Paschas“ bietet sich der Bundeskanzler allen Aufrechten und Besorgten unserer Gesellschaft erneut als „Hau den Lukas“ an. Jeder darf, wer hat noch nicht?
In dieser Reihe kann neben den üblichen Verdächtigen in Politik und Medien einer natürlicher nicht fehlen: Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Da er als Privatmann allerdings weitaus weniger Aufmerksamkeit erregt als in seiner Eigenschaft als DIW-Chef, musste Fratzscher einen wirtschaftswissenschaftlichen Zugang zur Stadtbilddebatte konstruieren, um sich in die anhaltende Empörungsspirale öffentlichkeitswirksam einreihen zu können. Für den meinungsstarken Wissenschaftler kein Problem.
Die Äußerungen des Kanzlers, so wird Fratzscher im „Handelsblatt“ zitiert, „verschärfen die gesellschaftliche Polarisierung und richten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an“. Worin der Schaden besteht, lieferte der DIW-Chef in einer schlichten Ein-Satz-Erklärung gleich mit: „Die Botschaft des Bundeskanzlers schwächt die Willkommenskultur Deutschlands und wird den Fachkräftemangel in Deutschland in den kommenden Jahren verschärfen.“
Starke These, kein Beleg
Donnerwetter, das wäre wirklich schlimm. Aber womit belegt der DIW-Chef seine Kanzler-Kritik? Mit Forschungsergebnissen? Mit Umfragen? Mit empirischer Recherche? Mit Untersuchungen bei Unternehmen? Fehlanzeige. Der Herr Chefökonom hat lediglich seinen Finger in die Höhe gehoben, aus der rechten Ecke einen Luftzug verspürt und mit der Autorität des Wissenschaftlers dann ex cathedra gleich einen erheblichen (!) wirtschaftlichen Schaden für Deutschland prognostiziert. Man könnte auch sagen: Der Wissenschaftler hat es sich ein wenig zu einfach gemacht.
Damit kein Missverständnis aufkommt: So wie jeder andere auch kann Marcel Fratzscher die Stadtbilddebatte missbilligen, den Kanzler kritisieren und sich jederzeit pointiert äußern. Aber dann bitte als Bürger und nicht als Präsident eines überwiegend aus Steuergeldern finanzierten Forschungsinstituts. Dem DIW nämlich schadet es nur, wenn sein Chef in dem ständigen Bestreben, öffentliches Gehör zu finden, seine politische Privatmeinung mit wissenschaftlich dürftigen, um nicht zu sagen unhaltbaren Begründungen garniert. In einem Forschungsinstitut sollte man wohl besser mehr forschen und weniger meinen.
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