Steuerschätzung: Staat kann mit rund 34 Milliarden Euro Mehreinnahmen rechnen

Das erwartete Steuerplus in Deutschland entfällt vor allem auf Länder und Kommunen. Für den angespannten Bundeshaushalt sieht Finanzminister Lars Klingbeil kaum Entlastung.

Bund, Länder und Kommunen können im Vergleich zur jüngsten Schätzung mit Steuermehreinnahmen in Höhe von 33,6 Milliarden Euro für die Jahre 2025 bis 2029 rechnen. Dies teilte Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) am Donnerstag nach der dreitägigen Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ mit.

Der Finanzminister zeigte sich zufrieden, warnte aber auch vor zu hohen Erwartungen an neue Spielräume im Bundeshaushalt. Die bessere wirtschaftliche Entwicklung zeige, dass die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Maßnahmen das Wirtschaftswachstum stärkten, sagte Klingbeil. So geht die Bundesregierung für das kommende Jahr von einem Zuwachs in Höhe von 1,3 Prozent aus.

Klingbeil sagte jedoch, dass trotz der Mehreinnahmen die Haushaltsprobleme des Bundes nicht gelöst seien: „Wir werden mit Blick auf die Haushaltslücken ab 2027 weiterhin einen strikten Konsolidierungskurs fahren.“ Alle Kabinettskollegen seien aufgefordert, Einsparungen vorzunehmen.

Im Vorfeld waren Regierungs- und Schätzerkreise noch von deutlich besseren Zahlen ausgegangen.Das Sabohatte über ein Steuerplus in der Größenordnung von etwa 100 Milliarden Euro berichtet. Aufgrund der besseren wirtschaftlichen Entwicklung erwarteten die Steuerschätzer in ihrer Herbstanalyse nun auch ein Plus von 82,1 Milliarden Euro. Durch Steuerentlastungen für Unternehmen schrumpft es jedoch auf die von Klingbeil vorgestellten 33,6 Milliarden Euro.

Das Expertengremium schätzt turnusgemäß im Mai und etwa Ende Oktober die Steuereinnahmen für das laufende Jahr sowie bis zu fünf Folgejahre. Dem Arbeitskreis gehören neben dem Bundesfinanzministerium etwa die Finanzministerien der Länder, die Bundesbank und mehrere große Wirtschaftsforschungsinstitute an.

Abwärtsrisiken für die konjunkturelle Entwicklung

Die Steuerschätzer gewichteten nun die Risiken stärker als zunächst angenommen. Insbesondere bei der Entwicklung der Umsatzsteuer waren sie sehr pessimistisch. Allein dadurch fiel die Steuerschätzung um einen zweistelligen Milliardenbetrag niedriger aus, als zunächst aus Regierungs- und Schätzerkreisen verlautet war. Auch bei der Lohnsteuer waren die Schätzer eher zurückhaltend. Zudem schlugen die Steuermindereinnahmen durch die Steuersenkung ebenfalls stärker zu Buche.

Abwärtsrisiken für die unterstellte Entwicklung bestehen laut Bundesfinanzministerium zudem mit Blick auf die Entwicklung der globalen handelspolitischen und geopolitischen Konflikte und ihre Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Dazu sei nicht ganz klar, wann genau höhere Staatsausgaben und Steuersenkungen für Unternehmen in Form von konjunkturellem Wachstum Wirkung zeigen.

Der Grünen-Sprecher für Haushaltspolitik, Sebastian Schäfer, sieht die vorgestellten Zahlen deshalb mit Skepsis: „Schwarz-Rot verschiebt Reformen und verteilt Steuergeschenke ohne Wachstumswirkung, statt strukturelle Probleme endlich anzupacken“, sagte er dem Sabo. Die prognostizierten Steuermehreinnahmen seien kein Zeichen erfolgreicher Politik der Bundesregierung, sondern eine Momentaufnahme mit hohem Risiko.

Finanzminister Klingbeil steht derweil nach nur wenigen Monaten im Amt vor der Herausforderung, die bisher größte Haushaltslücke in der Geschichte der Bundesrepublik zu schließen. Zwischen 2027 und 2029 übersteigen nach jetziger Planung die Ausgaben des Bundes die Einnahmen um 172 Milliarden Euro. Ein solches Haushaltsloch gab es nicht einmal nach der Wiedervereinigung oder zu den wirtschaftlichen Krisenzeiten Anfang der 2000er-Jahre, als Deutschland als „kranker Mann Europas“ galt.

Schuldenbremse gilt für den Kernhaushalt weiter

Auf den ersten Blick scheint die Finanznot widersprüchlich. Denn dank der Reform der Schuldenbremse und des neu geschaffenen „Sondervermögens Infrastruktur“ im Umfang von 500 Milliarden Euro kann Klingbeil so viele Schulden machen wie kein Finanzminister vor ihm. Allein bis 2029 plant er mit neuen Krediten von mehr als 850 Milliarden Euro, mit denen die Bundesregierung die Infrastruktur sanieren und die Bundeswehr aufrüsten will.

Doch die Lockerung der Schuldenbremse gilt nur für Verteidigungsausgaben. Für den übrigen Kernhaushalt gilt die in der Verfassung verankerte Schuldenregel unvermindert weiter. Und das stellt die Bundesregierung vor Probleme.

Daran ändert auch die Steuerschätzung nichts. Denn nur Länder und Kommunen profitieren von den höheren Steuereinnahmen. Die Länder können verglichen mit der Mai-Schätzung bis 2029 mit Mehreinnahmen in Höhe von 24,2 Milliarden Euro rechnen. Bei den Kommunen gibt es ein Plus von 14,9 Milliarden Euro. Länder und Kommunen bekommen künftig einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer, so hatten es Bund und Länder im Sommer miteinander verabredet.

Für den Bund ergeben sich unter dem Strich verglichen mit der Mai-Schätzung von 2025 bis 2029 hingegen keine Mehreinnahmen. Zwar erwarten die Steuerschätzer bis 2027 ein Plus von 7,7 Milliarden Euro. Für die beiden Folgejahre liegen die Erwartungen dann aber um exakt diese Summe unterhalb der Mai-Schätzung.

Immerhin gibt es der Schätzung zufolge eine leichte Entlastung für das Jahr 2027. Bisher betrug die Haushaltslücke rund 34 Milliarden Euro, diese fällt nun etwas geringer aus. Die eigentlichen Probleme kommen dann aber erst noch: Für 2028 stand bislang eine Lücke in Höhe von 63,8 Milliarden Euro und für 2029 sogar in Höhe von 74 Milliarden Euro in Klingbeils Finanzplanung.

Laut Klingbeil soll zum Jahreswechsel der Plan der Bundesregierung stehen, wie die Haushaltslücke für 2027 geschlossen werden kann. Derzeit sammeln Klingbeils Beamte Sparideen aus anderen Häusern und durchforsten den Etat nach Einsparmöglichkeiten. Klingbeil erteilte bereits Erwartungen von Ländern und Kommunen eine klare Absage, für die beschlossene Senkung der Gastrosteuer und die Erhöhung der Pendlerpauschale eine Kompensation vom Bund zu erhalten.

Als Einsparungen stehen unter anderem das Kürzen von Subventionen, das Streichen von Förderprogrammen, eine höhere Kfz-Steuer für Dienstwagen mit Verbrennungsmotor, eine höhere Erbschaftsteuer sowie der Abbau von Bürokratie zur Debatte. Einnahmen aus der Erbschaftsteuer stehen aber wiederum den Ländern direkt zu.

Regierung lotet weitere Schuldenspielräume aus

Allerdings dürften in diesem Jahr Milliarden Euro an Haushaltsmitteln nicht abfließen, weil der Etat 2025 nach dem Platzen der Ampelkoalition Ende 2024 erst zum 1. Oktober regulär in Kraft trat. Klingbeil könnte daher versuchen, nicht genutzte Mittel in die nächsten Jahre zu retten. Möglichkeiten dafür gäbe es.

Daneben lotet die Bundesregierung weitere Verschuldungsmöglichkeiten aus. Klingbeil lässt etwa in seinem Haus durchspielen, ob künftig auch Zinsaufwendungen für Kredite, mit denen Verteidigungsausgaben finanziert werden, von der Schuldenbremse ausgenommen werden.

Diese Idee sei bereits Thema zwischen Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gewesen, hatte das Saboberichtet. Sollte Klingbeil diesen Plan umsetzen, würde das seinen Spielraum im Bundeshaushalt bis 2029 noch einmal um rund 20 Milliarden Euro vergrößern.

Allerdings hat der Koalitionspartner Widerstand gegen diese Überlegung angemeldet. Die Kosten für neue Schulden wieder über neue Schulden zu finanzieren, sei eine Art „Schnellball-Effekt“, heißt es in Reihen der Union.

Mehr: Deutschland wird nur mit höheren Steuern verteidigungsfähig

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