Liebe Leserin, lieber Leser,
der Sachverhalt ist schnell erzählt: Kanzler Friedrich Merz lobt in einer Pressekonferenz seinen verschärften Kurs in der Migrationspolitik, aber beklagt: „Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“. Die Grünen fordern eine Entschuldigung für diesen Satz, unter dem man nichts Genaues verstehen, sondern nur vermuten kann, dass Merz fremdländisch aussehende Männer ohne Aufenthaltserlaubnis und mit krimineller Karriere vor Augen hat. Denn er kündigt noch „Rückführungen“ an. Auf eine Frage, was er mit „Stadtbild” genau meine, entgegnet Merz Tage später: „Fragen Sie mal Ihre Töchter“. Viele Antworten fallen allerdings nun anders aus, als er sie womöglich von seinen eigenen Töchtern bekommen hat. Fünf Kategorien:
Die Feministin: Sie wirft Merz Instrumentalisierung von Frauen für sein bedenkliches Migrantenbild vor. Der gefährlichste Ort für Frauen sei nicht die Stadt in der Nacht, sondern das eigene Zuhause. Denn: An jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Frauenhäuser sind oft unterfinanziert und überbelegt. Diese Gewalt gegen Frauen meine der Bundeskanzler aber nicht, wenn er von einem Problem „spätestens mit Einbuch der Dunkelheit“ spreche.
Die Komikerin: In den sozialen Netzwerken wimmelt es von Videos, in denen sich Frauen über Merz lustig machen. Sie zählen genüsslich auf, was sie alles am „Stadtbild“ störe. Carolin Kebekus sagt der Deutschen Presse-Agentur: „Ganz ehrlich – das größte Problem, das ich mit dem Stadtbild habe: E-Roller.“ Eine schwarze Frau berichtet auf Instagram, dass es wirklich ein Migranten-Problem gebe. Sie werde nachts immer wieder angepöbelt von Männern – von Rechtsradikalen.

Die Rassismus-Kritikerin: Sie sagt, Merz habe so viel Interpretationsspielraum gelassen, dass sich Ausländerhasser bestätigt fühlten. Man wisse ja nicht, ob er die Straftäter unter den Migranten meine. Es könnten doch auch Frauen mit Kopftuch sein, die dem Bundeskanzler nicht ins „Stadtbild“ passten. Oder eben einfach Menschen mit anderer Hautfarbe. In aufgeladenen Zeiten wie diesen heize das die Diskriminierung von Ausländern an. Bei einem Besuch in London sagt Merz dann erstmals selbst, um wen es ihm geht: eben um diejenigen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiteten und sich „auch nicht an unsere Regeln halten“. Eine Welle der Empörung ist bis dahin schon über ihm zusammengeschlagen.
Die Bedrohte: Zahlreiche Frauen, darunter prominente wie die Schauspielerin Uschi Glas, geben Merz recht. Sie meiden nachts Straßen, Plätze, Parks. „Ich würde abends oder nachts auch nie alleine durch einen Park laufen oder joggen“, sagt Glas der „Bild“-Zeitung, allerdings ohne auf eine Nationalität einzugehen. Andere erzählen davon, dass sie sich nicht sicher fühlen, wenn sie an einer Gruppe junger Männer anderer Herkunft vorbeilaufen müssen. Und, dass sie in bestimmten Stadtvierteln den Eindruck haben, gar nicht mehr in Deutschland zu leben, weil sie die Sprache nicht verstünden, die die Menschen dort sprächen.

Angela Merkel: Aktuell ist von der früheren Bundeskanzlerin dazu nichts zu vernehmen. Aber im Netz tauchen früher aufgenommene Äußerungen von ihr auf, die gegen Merz‘ „Stadtbild“-Synonym geschnitten werden. Etwa diese: „Ich kann auf der Straße Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsche Staatsbürger sind, und solche, die die Staatsbürgerschaft nicht haben, nicht unterscheiden.“ Oder diese: „Achtet auf die Sprache, denn die Sprache ist die Vorform des Handelns. Wenn die Sprache einmal auf die schiefe Bahn gekommen ist, kommt auch sehr schnell das Handeln auf die schiefe Bahn.“
Machtpoker

Wenn wir wieder alle Männer eines Jahrgangs mustern und die Daten aller Wehrfähigen erheben, wird das auch in Russland wahrgenommen. Anders ausgedrückt: Auch das ist Abschreckung.
Boris Pistorius; Verteidigungsminister in der „Bild am Sonntag“
„Kriegstüchtig” will der Sozialdemokrat Boris Pistorius Deutschland machen. Die Bevölkerung erlebt seit Monaten, was das bedeutet: Es mehren sich Militärtransporte auf den Straßen, Milliardensummen werden für die Bundeswehr ausgegeben und nun sollen wieder mehr Männer Wehrdienst leisten.
Die Nato rechnet damit, dass Russland in wenigen Jahren militärisch in der Lage ist, auch einen ihrer Partner anzugreifen. Dazu will es die Bundesregierung nie kommen lassen. Abschreckung könnte helfen. Oberste Priorität: Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Die AfD bleibt nach einer aktuellen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa mit 26 Prozent stärkste Kraft vor der Union mit 24 Prozent – unverändert halte aber auch eine klare Mehrheit der Wahlberechtigten die AfD für eine rechtsextremistische Bewegung gegen die Demokratie in Deutschland.
Forsa-Chef Manfred Güllner empfiehlt der Union mit Blick auf die bevorstehenden Landtags- und Kommunalwahlen, die AfD nicht als Hauptgegner auszurufen – das würde sie nur stärken. Vielmehr sollte sich die Union um die Probleme der großen Mehrheit der Wahlberechtigten kümmern, die mit der AfD nichts zu tun haben wollten.

Was unsere Leserinnen und Leser dazu sagen
Maria Gubisch aus Gelnhausen beklagt einen „derzeit diktatorischen Politikstil”:
„Politik ist gewählt, dem Volk zu dienen und Schaden von ihm abzuwenden. Schnelle und kurzfristige Lösungen sind nicht tragfähig. Da gilt es, über den Tag hinauszuschauen, sogar über das Ende der Legislatur. Gefragt sind Kreativität, Ehrlichkeit, Mut, Konsequenz und Weitblick. Diskussionen müssen geführt werden, bevor man Ergebnisse verkündet. Dazu braucht es sachliche Argumente. Und Zeit, sich damit vertraut zu machen. Medien sollen Perspektiven aufzeigen, damit Wahlmöglichkeiten entwickelt werden. Der aktuelle Politikstil mutet diktatorisch an. Das ist keine Demokratie. Das darf auch nicht ihr Ende werden.“
Das ist auch noch lesenswert
Unsere Leserin Maria Gubisch hat es angesprochen: Medien sollen Perspektiven aufzeigen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Streitgespräch zwischen Schülervertreter Quentin Gärtner (18) und Reservisten-Chef Patrick Sensburg (54) über Wehrdienst und Freiwilligkeit. Meine Kollegen Steven Geyer und Markus Decker haben es geführt (+).
Meine Kollegin Maike Trumpp hat zu dem Thema noch ein Interview mit dem Jugendforscher Simon Schnetzer geführt. Er warnt davor, dass sich die sogenannte Generation Z in der aktuellen Wehrpflicht-Debatte erneut übergangen fühlt.
Ukrainische Kriegsgefangene erleiden furchtbare Qualen in russischen Lagern. Die Ukraine dagegen gewährt Journalisten immerhin Einblicke in ein Gefangenenlager. Mein Kollege Can Merey war wieder vor Ort. Er sagt: Auch in der Ukraine gibt es dunkle Flecken (+).
Sieben Millionen Amerikanern gingen gegen Präsident Donald Trumps autokratische Machtanmaßung auf die Straße, berichtet unser USA-Korrespondent Karl Doemens. Hört sich viel an. Aber die USA haben 340 Millionen Einwohner. Warum die Proteste trotzdem ein Hoffnungsschimmer sind (+).
Am kommenden Donnerstag meldet sich meine Kollegin Eva Quadbeck mit dem nächsten Hauptstadt-Radar. Bis dahin!
Herzlich
Ihre Kristina Dunz
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