Gesundheitspolitik
Tausende RTW-Einsätze im Volmetal: Wer zahlt für „Fehlfahrten“?
NRW-Kommunen und Krankenkassen streiten über die Kostenübernahme. Die Verhandlungen sind gescheitert. Experten warnen vor den Auswirkungen auf das Gesundheitssystem.
Volmetal – Wer kommt dafür auf, wenn ein Rettungswagen anrückt, einen Patienten aber letztendlich nicht ins Krankenhaus bringen muss? Diese Frage stellte sich bislang nicht für akut hilfsbedürftige Kranke oder Verletzte. Doch die Verhandlungen der NRW-Kommunen mit den Krankenkassen über die Kostenübernahme für sogenannte „Fehlfahrten“ sind gescheitert. Der Städtetag NRW läuft Sturm gegen die Sparpolitik der Kostenträger – inwieweit eine neue Regelung der Kostenübernahme auch Auswirkungen auf Patienten haben könnte, steht jedoch noch nicht fest. Der Märkische Kreis als zuständige Behörde für die Rettungswachen in Meinerzhagen, Halver und Kierspe will die weitere Entwicklung abwarten. Beim Blick auf die Gesamtzahl der Einsatzfahrten aus den Wachen im Volmetal wird aber deutlich, dass die Folgen eines geringeren Krankenkassenzuschusses verheerend wären.
Eine Quote für Fehlfahrten wurde bislang nicht ermittelt. Sie ist auch nur schwerlich zu erheben, da hierfür die abschließende rechtliche Definition fehlt.
Ulla Erkens, Pressereferentin des Märkischen Kreises
Wie Ulla Erkens, Pressereferentin im Lüdenscheider Kreishaus, auf Anfrage erklärt, seien allein von der Rettungswache Meinerzhagen im vergangenen Jahr 2906 Rettungswagen-Einsätze erfolgt, aus der Halveraner Wache waren es 2463, von der nicht durchgehend besetzten Außenstelle in Kierspe erfolgten immer noch 402 Einsätze. Wichtig dabei: Nicht immer waren nur die jeweiligen Städte auch das Ziel der jeweiligen Fahrt. Erkens erklärt: „Der Märkische Kreis arbeitet bei seiner Gebietsabdeckung auf Basis gutachterlich ermittelter Isochronen (Verbindungslinien zwischen Ortschaften), um sich an der tatsächlichen Disposition der Rettungsmittel in einem Gebiet zu orientieren. Der Einsatzbereich einer Rettungswache endet damit nicht zwingend an einer Gemeindegrenze.“
Volmetal-Wachen fahren 5771 Einsätze
Wie viele dieser insgesamt 5771 Einsätze sogenannte Fehlfahrten waren, könne jedoch nicht bestimmt werden. Eine solche Quote sei „nur schwerlich zu erheben, da hierfür die abschließende rechtliche Definition fehlt“, wie Ulla Erkens betont. Laut Städtetag handelt es sich NRW-weit jedoch bei jedem fünften Einsatz um eine „Fehlfahrt“ – für die es aber vielerlei Gründe geben könne, wie Erkens weiter erklärt. So könne ein Patiententransport etwa durch adäquate Versorgung am Unfallort unnötig werden oder – auch das kommt vor – schlichtweg keine Person am Unfallort angetroffen wird. Schließlich gebe es noch die Möglichkeit, dass die Patienten die Mitfahrt verweigern oder, im schlimmsten Fall, „trotz intensiver Bemühungen der Rettungskräfte vor Ort versterben“.
Das Problem, das zuletzt in Lüdenscheid für Aufregung beim Stadtkämmerer und Feuerwehr-Chef sorgte, sei beim Kreis bislang aber nicht aufgetreten. In der Kreisstadt hatte der Erste Beigeordnete Fabian Kessler bereits gemutmaßt, dass die Stadt die Fehlfarten entweder selber bezahlen „oder aber das Geld dafür bei den Patienten eintreiben“ müsste. Anfang Oktober war in der Lüdenscheider Verwaltung ein Schreiben der Krankenkassen eingegangen, das zum einen die Ankündigung enthalte, dass „Fehlfahrten“ von Rettungsdiensten ab sofort und rückwirkend ab dem 1. Januar 2025 nicht mehr automatisch von den Krankenkassen bezahlt werden. Zum anderen seien deutlich reduzierte Festbeträge für alle Einsätze von Krankentransporten, Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeugen aufgelistet.
Der Aufschrei der Kommunen kam prompt. Der Vorsitzende des NRW-Städtetages, Thomas Eiskirch aus Bochum, erklärte gegenüber der Westfalenpost unter anderem: „Wer das erste Mal eine Rechnung für einen Rettungseinsatz bekommt, überlegt es sich beim nächsten Notfall zweimal, ob er die 112 wählt. Das ist gefährlich.“ Hinzu käme, dass die Träger der Rettungsdienste nach Berechnungen aus dem Lüdenscheider Rathaus auf etwa einem Drittel der Kosten für die Transporte sitzenblieben. Denn die reduzierten Festbeträge, die die Kostenträger dann noch erstatten, lägen deutlich unter den kalkulierten Gebühren. Gemäß der Gebührensatzung des Märkischen Kreises für die Rettungswachen in Trägerschaft des Märkischen Kreises beträgt die Gebühr für eine Fahrt mit einem Rettungswagen 1292,55 Euro.
Für Rettungsexperten wie den Lüdenscheider Feuerwehr-Chef Christopher Rehnert dürfen Rettungseinsätze in keinem Fall als „unnötig“ oder als „Fehlfahrten“ deklariert werden – im Gegenteil: „Wenn der Einsatz vor Ort erfolgreich war und ein Patiententransport deswegen nicht mehr nötig ist, werden die Krankenhäuser und damit das gesamte Gesundheitssystem doch entlastet.“
