TikTok-Auftritt der Stadt – Stuttgart auf TikTok – ist das cool oder cringe?

Selbstironisch ging es im ersten Video vor rund zwei Monaten los: Darin erzählte das TikTok-Team der Stadt Stuttgart, dass man eigentlich gar nicht hier sein wollte, „weil wir sind ja schon auf Facebook“, und außerdem „hatten wir Angst vor Cringe“. Aber nun sei man doch auf dieser Plattform unterwegs, auf „TikTak“ ähhh „TikTok“. Bis heute gab es für den humorvollen Post fast 1200 Herzchen, knapp 26 000 Mal wurde das Video aufgerufen.

Seither veröffentlicht die Stadt fast täglich kurze TikTok-Videos, um „Jugendliche und junge Erwachsene bis Mitte/Ende 20 besser über relevante Themen zu informieren“, wie Susanne Kaufmann, Leiterin der Kommunikationsabteilung der Stadt sagt. Fünf junge Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ämtern machen mit, zum Beispiel Leon aus dem Umweltamt und Luise aus dem Liegenschaftsamt. Sie zeigen, was man in Stuttgart machen kann (Yoga im Schlossgarten, Palais Avant im Stadtpalais, zusammen 5000 Views), wo es schön ist (Eugensplatz, 14 000 Views) oder welche Angebote die Stadt macht (kostenlose Sportgeräte, Sonnenschirme, 6000 Views).

Trends wie „Clean Girls“ werden aufgegriffen

Der anstehende Doppelhaushalt (1500 Views) oder städtebauliche Projekte wie das Rosensteinviertel (100 000 Views) werden ebenso erklärt wie aktuelle Social-Media-Phänomene aufgegriffen. So gabelten zwei Stadtmitarbeiter Pudding (5000 Views) und diskutierten zwei andere, ob der Zwinker-Smiley passiv aggressiv sei (1700 Views). Einen so genannten viralen Hit landete der Stadt-Account mit einem Video der selbstreinigenden öffentlichen Toiletten. Das wurde 3 Millionen Mal gestartet.

Daniela Vey, die öffentliche Einrichtungen in ihrer Social-Media-Strategie berät, gefällt der TikTok-Auftritt der Stadt mit seinen wiederkehrenden jungen Gesichtern und Themenfeldern. Gut findet die Stuttgarter Informationsdesignerin, dass das Team TikTok-Trends wie die überordentlichen „Clean Girls“ aufgreift, persifliert und sich dabei an die Erzähllogik dieses Mediums mit seinen Memes wagt. Zum Beispiel mit einem Video, in dem Katzen in basaler Sprache Stuttgart 21 erklären. Das mag manchen auf den ersten Blick der Thematik unangemessen erscheinen, erreiche aber eine Zielgruppe, die eine humorvolle Ästhetik auch bei ernsten Themen schätze.

Außerdem gehöre zu den Sozialen Medien die Polarisierung: „Inhalte sollen zur Diskussion anregen, emotionalisieren. Menschen müssen sich identifizieren und abgrenzen können“, sagt Daniela Vey. Niemand habe den Anspruch, auf TikTok alle mit allem zu erreichen: „Im Straßencafé spreche ich auch mit einzelnen und stelle mich nicht mit dem Megafon in die Mitte“, sagt Vey. Wichtig sei, der Zielgruppe zu vermitteln: „Wir machen diese Inhalte für euch. Ihr steht im Zentrum, nach euch richten wir uns aus.“

Der Tübinger Medientheoretiker Bernhard Pörksen hat die Logik der Sozialen Medien kürzlich im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ beschrieben. „Wir sind heute von den Nerven der gesamten Menschheit umgeben. Sie sind nach außen gewandert und bilden eine elektrische Umwelt“, schreibt Pörksen in Anlehnung an Marshall McLuhan. Dem gelte es sich anzupassen, als Journalistinnen und Journalistin, aber wohl auch als öffentlicher Akteur im Kampf um Aufmerksamkeit innerhalb eines allgemeinen Stimmengewirrs.

Dass die Stadt eine junge Bürgerschaft auf TikTok in den Blick nimmt, findet auch der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger richtig, der an der Uni Hohenheim zu Onlinekommunikation forscht und lehrt. Weil es keine europäischen Äquivalente zu der chinesischen Videoplattform gebe, sei sie alternativlos.

„Demokratietheoretische Relevanz“

Außerdem habe TikTok einen Vorteil anderen Social-Media-Plattformen gegenüber: Der Erfolg hängt nicht von den Followerzahl ab. Der Algorithmus spielt Videos entsprechend der Interessen und des Klickverhaltens der Nutzerinnen und Nutzer aus, deshalb werden die Stuttgart-Inhalte auch Nicht-Followern angezeigt. „Das kann schon dazu beitragen, dass in Zeiten schwindenden Vertrauens in Institutionen und Politik junge Leute zumindest mal in Berührung mit der Verwaltung kommen und sehen, dass die da was ganz Cooles machen“, sagt Schweiger. Das habe „demokratietheoretische Relevanz“.

Problematisch könne allerdings die „socialmediatypische Verkürzung“ von Inhalten sein, sagt Schweiger. Er nennt als Beispiel die Stadtvideos zum Rosensteinviertel, das auf den ehemaligen Gleisflächen des Bahnhofs entstehen soll: „Die Verwaltung stellt es so dar, als ob dieser Stadtteil auf jeden Fall demnächst entsteht. Dabei ist das ja alles noch gar nicht so klar“, sagt Schweiger. Der Kanal sei als Teil der Stadt-PR zu sehen – und nicht als neutrales Informationsmedium. PR-Botschaften würden dort ungefiltert durchdringen.

Kritisch sieht Schweiger auch, dass Oberbürgermeister Frank Nopper auf dem öffentlich finanzierten Account hin und wieder auftritt. „Die Image-Arbeit des OBs sollte auf dessen eigenem Kanal laufen“, findet Schweiger. Bisher beschränken sich die Nopper-Auftritte auf die drei Videos rund um ein Schnupperpraktikum des Stuttgarter TikTokers Alper im Rathaus (insgesamt etwa 440 000 Aufrufe).

Flughafen und Finanzministerium als Vorbilder

Daniela Vey sieht die Stadt bislang auf einem guten Weg, würde sich aber noch mehr Experimentierfreude und manchmal etwas schneller geschnittene und emotionalere Videos wünschen, etwa zum Thema „Die Verwaltung als Arbeitgeber“. Nutzer unter 20 Jahren würden innerhalb der ersten 0,4 Sekunden entscheiden, ob sie ein Video weiter ansehen. Als Beispiele, welche Institutionen sich mit einer gelungenen Mischung aus Smalltalk-Themen und harten Infos auf TikTok präsentieren, nennt Vey den Stuttgarter Flughafen und das Finanzministerium Baden-Württemberg.

Bei der Stadt ist man mit dem Entwicklung des Accounts bislang „sehr zufrieden“, mehrere Videos hätten schon sechsstellige Aufrufe gehabt. Man wolle weiter auf eine Mischung aus Trends, Tipps und harten politischen Themen setzen, sagt Susanne Kaufmann. Gern humorvoll aufbereitet. „Das ist nicht anders als beim Fernsehen. Warum sonst schauen so viele junge Leute das ZDF Magazin Royale oder die Heute-Show?“

Was kostet das?

Stellen

Im Social-Media-Team der Abteilung Kommunikation gibt es laut Susanne Kaufmann drei Stellen, die alle Social-Media-Kanäle der Landeshauptstadt Stuttgart betreuen. Viele TikTok-Videos liefen auch auf Instagram gut, „nahezu alle Inhalte werden inhouse produziert“.

Kosten

In der Startphase habe man sich fachliche Unterstützung durch einen Dienstleister geholt, „der uns bei der Konzeption und der strategischen Planung begleitet hat“, so Susanne Kaufmann. Der Auftragswert habe bei knapp 12 000 Euro gelegen.

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