Ukraine-Krieg: EU plant Mega-Darlehen für Kiew – auch ohne Orban

Die EU-Regierungschefs wollen das eingefrorene russische Vermögen für die Ukraine nutzen. Die Entscheidung auf dem EU-Gipfel wird wohl in Viktor Orbans Abwesenheit fallen.

Viktor Orban verpasst den Beginn des EU-Gipfels am Donnerstag. Der ungarische Ministerpräsident begeht zunächst den Nationalfeiertag in Budapest und hält eine Rede bei einem „Friedensmarsch“. Erst am Nachmittag wird er in Brüssel erwartet.

In Orbans Abwesenheit werden die anderen Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wohl eine historische Entscheidung treffen: Sie wollen beschließen, das eingefrorene russische Zentralbankvermögen für die Ukraine zu nutzen. Bis zu 140 Milliarden Euro sollen für ein „Reparationsdarlehen“ an Kiew verwendet werden.

Diplomaten zufolge stehen inzwischen 26 von 27 EU-Regierungen hinter dem Plan, nur Orban hatte noch Bedenken geäußert – nicht zum ersten Mal, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht. Dass er nun in der entscheidenden Sitzung nicht persönlich anwesend ist, ist eine gesichtswahrende Lösung für den Russlandfreund.

Schon einmal, beim EU-Gipfel im Dezember 2023, hatte Orban es vorgezogen, kurz aus dem Raum zu gehen und so auf sein Veto zu verzichten. Damals beschlossen die anderen 26 Regierungschefs die Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine.

EU will Gesetzentwurf im November vorlegen

Diplomaten zufolge geht die Diskussion aber erst richtig los, wenn die EU-Kommission in den kommenden Wochen ihren Gesetzentwurf vorlegt. Um die rechtlichen Details werde es heftige Auseinandersetzungen geben, sagte ein EU-Diplomat. „Es ist komplizierter, als viele Leute denken.“

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Vor allem Belgiens Ministerpräsident Bart de Wever hatte mehrfach vor russischen Schadenersatzansprüchen gewarnt. Der Großteil der russischen Reserven lagert beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear. De Wever will deshalb sicherstellen, dass seine Regierung im Fall einer russischen Klage nicht allein auf den möglichen Kosten sitzenbleibt – und fordert weitreichende Garantien aller EU-Staaten.

„Belgien kann dieses Risiko nicht allein tragen – es muss von allen EU-Staaten kollektiv abgesichert werden“, sagte der zuständige EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis dem Sabo. „Genau das schlagen wir vor.“ Die Kommission wolle den Gesetzesvorschlag schon Mitte November vorlegen. Darin soll genau stehen, wie der Kredit für die Ukraine strukturiert wird und wer welche Garantien übernimmt.

EU-Staaten brauchen das Geld

Insgesamt belaufen sich die eingefrorenen russischen Reserven bei Euroclear auf 194 Milliarden Euro. Ein Großteil der Anleihen ist bereits fällig geworden, die Barmittel liegen auf einem Konto bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Dieses Geld soll nun an die EU-Kommission überwiesen werden, die wiederum ein Darlehen in mehreren Tranchen an die Ukraine vergibt.

Dombrovskis betonte, dass es sich nicht um eine Konfiszierung handele. „Das Reparationsdarlehen nutzt nur die russischen Vermögenswerte, solange Russland keine Reparationen zahlt“, sagte er. „Sollte Russland irgendwann zahlen, werden die Cash-Bestände wieder aufgefüllt und die Vermögenswerte zurückgegeben.“

Der Zugriff auf das russische Vermögen war für die EU jahrelang ein Tabu. Bislang hatten sich die Mitgliedstaaten nur getraut, die Sondergewinne abzuschöpfen, die das eingefrorene Vermögen jedes Jahr abwirft. Die Gewinne werden aktuell dazu genutzt, einen G7-Kredit in Höhe von 50 Milliarden Dollar an die Ukraine zurückzuzahlen.

Trump sagt Friedensgipfel mit Putin ab

Dass die Europäer nun doch auf das Vermögen selbst zurückgreifen wollen, ist der angespannten Haushaltslage geschuldet. Um den enormen Finanzbedarf der Ukraine zu decken, müssen die Regierungen neue Einnahmen erschließen. Man habe keine andere Alternative als die russischen Reserven, sagen EU-Diplomaten. Dombrovskis zufolge benötigt Kiew pro Jahr 60 Milliarden Euro – je die Hälfte für das Militär und andere Ausgaben.

Mit einem Darlehen von bis zu 140 Milliarden Euro wäre die Ukraine also mindestens für zwei Jahre finanziert. Der Beschluss des EU-Gipfels soll auch eine Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin sein: Wenn er sehe, dass die Europäer in ihrer Unterstützung nicht nachlassen, werde der Kremlherrscher früher oder später zu Verhandlungen bereit sein, hoffen Diplomaten.

Vorerst jedoch führt Putin den Krieg in der Ukraine mit unverminderter Härte fort: Vor dem Winter bombardiert er Nacht für Nacht die ukrainische Energie-Infrastruktur. Der angekündigte „Friedensgipfel“ zwischen Putin und US-Präsident Donald Trump in Budapest findet hingegen vorerst doch nicht statt. Nach einem Telefonat der beiden Außenminister Sergej Lawrow und Marco Rubio sagte Trump am Dienstag das Treffen ab. Er wolle seine Zeit nicht vergeuden, sagte er.

Europäer legen eigenen Friedensplan vor

Die Europäer versuchen unterdessen mit einem neuen Friedensplan, Trump an ihrer Seite zu halten. Der Zwölf-Punkte-Plan sieht einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen auf Basis der aktuellen Frontlinie vor. Damit weist die EU Putins Forderungen nach einem weiteren Gebietsverzicht der Ukraine zurück. Ein Gremium unter Trumps Vorsitz soll über die Umsetzung wachen.

Der Plan sieht zudem vor, dass nach dem Waffenstillstand Gefangene ausgetauscht und die von Russland entführten ukrainischen Kinder zu ihren Familien zurückgeführt werden. Die Ukraine erhält Sicherheitsgarantien und die Aussicht auf eine schnelle EU-Mitgliedschaft. Auch sollen die Russlandsanktionen schrittweise gelockert werden. Das russische Vermögen hingegen soll eingefroren bleiben, bis Russland sich zu Reparationszahlungen bereiterklärt.

Zugleich erhöhen die Europäer den Druck auf den Kreml mit weiteren Sanktionen gegen das russische Öl- und Gasgeschäft. Das 19. Sanktionspaket wurde von den EU-Botschaftern beschlossen, nachdem auch die Slowakei ihre Ablehnung gestern Abend aufgegeben hatte.

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Bis der Ukraine das Reparationsdarlehen zur Verfügung steht, dürfte es noch einige Monate dauern: Der Gesetzentwurf der Kommission muss erst im Rat der Mitgliedstaaten und im Europaparlament beraten werden. Dann müssen auch noch die nationalen Parlamente zustimmen, da es um nationale Kreditgarantien geht. Der gesamte Prozess soll im ersten Quartal 2026 abgeschlossen sein. „Die Ukraine braucht das Geld spätestens Anfang des zweiten Quartals nächsten Jahres“, sagte Dombrovskis.

Die Gipfelteilnehmer erwarten auch eine Einschätzung der Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde. Die EZB hatte in der Vergangenheit stets vor dem Zugriff auf das russische Vermögen gewarnt – mit dem Hinweis, ein solcher Schritt könne dem internationalen Ruf der Euro-Zone schaden. EU-Diplomaten erwarten jedoch nicht, dass Lagardes Meinung den Ausgang des Gipfels beeinflussen wird.

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