Was die feministische Schriftstellerin Luisa Francia umtreibt: „Magie ist eine ursprüngliche Kraft, die wir alle haben“

Luisa Francia steht seit Jahrzehnten in dem Ruf, eine moderne Hexe zu sein – ein Missverständnis, meint die Bestseller-Autorin. Warum der Vorlass der feministischen Vorkämpferin nun an die Monacensia geht.

„Magie ist eine ursprüngliche Kraft, die wir alle haben“

Immer wenn sie irgendwo länger warten muss, läuft Luisa Francia die Wand hoch. Sie stützt sich mit den Händen am Boden ab und setzt dann hinten einen Fuß vor den anderen, bis sie ausgestreckt kopfüber mit Blick zur Wand steht. „Eine einfache Yogaübung“, sagt die 76-Jährige und lächelt schelmisch. Habe sie schon gemacht, bevor Yoga in Mode kam, verrät sie bei einem Treffen in der Monacensia.

Unkonventionell und manchmal aus dem Rahmen tanzend – bis heute. So könnte man die 1949 in Grafing geborene Autorin beschreiben, die flink im Kopf und wendig in ihrer Vorstellungskraft, ausgestattet mit einer gesunden Portion Selbstwirksamkeit und Lust zur Provokation immer schon für die Rechte von Frauen kämpfte – und sogar in den Ruf einer modernen Hexe kam. Ihr sei allerdings „nichts daran gelegen, berühmt zu sein“, sagt sie gleich zu Beginn des Gesprächs. „Ich bin stolz darauf, dass ich noch nie einen Preis gekriegt habe, weil da würde ich mich fragen, ob ich irgendwas falsch gemacht habe.“

Francia, die in den 1980er-Jahren eine Schlüsselfigur der neuen Frauenbewegung nach 1968 in München war, hat nun ihren Vorlass dem Literaturarchiv Monacensia übergeben. Viele handgeschriebene Manuskripte und Typoskripte, Zeichnungen, aber auch Filmaufnahmen und Korrespondenzen mit befreundeten Autoren wie Herbert Achternbusch, Franz Dobler, Margarethe von Trotta, Verena Stefan oder amerikanischen Feministinnen wie Cathy Acker und Nancy Spiro finden sich darin.

Die Monacensia hat sich mit ihrem neuen Sammlungskonzept #femaleheritage zur Aufgabe gemacht, weibliches Kulturerbe sichtbar zu machen, das im literarischen Gedächtnis bisher oft fehlt. Das Archiv tritt gezielt an Schreibende wie Luisa Francia heran, die eine wichtige oder stilbildende Stellung für eine Szene oder Community hatten, um den bestehenden Kanon zu erweitern oder zu brechen. Das findet die Autorin gut: Ihr sei bei dieser Aussicht auch deutlich wohler, als ihr Werk ausschließlich in Gesellschaft von Thomas Manns Schriften zu wissen, wie Francia süffisant bemerkt.

Die Schriftstellerin war Mitgründerin des ersten feministischen deutschen Verlages „Frauenoffensive“, der 1974 aus einem Kollektiv in München entstand. Dort erschienen radikal-feministische Schriften und Bücher rund um Themen wie Frauengesundheit, Spiritualität und queeres Leben, für die es in den deutschen Medien der damaligen Zeit keinen Platz gab. So konnte auch Francia zahlreiche eigene Texte veröffentlichen, die sich mit magischen Traditionen, Heilkunde und weiblichem Schamanismus befassten.

Ihr Werk wächst noch immer stetig – sie selbst bezeichnet sich als „schreibwütig“ – und umfasst mittlerweile mehr als 60 Bücher, darunter Bestseller wie „Mond, Tanz, Magie“ (1986) und das „Magische Kochbuch“ (2001), sowie Anleitungen zur Selbstheilung, ein Buch über Frauenalpinismus, Reisereportagebände und ein digitales Tagebuch, das sie seit den 1990ern führt. Wer jetzt Angst vor ideologischen oder esoterisch verschwurbelten Inhalten hat, dem sei gesagt: Das Gegenteil ist der Fall, Francias Texte sind sehr unterhaltsam, lebenspraktisch und smart.

Francia veranstaltete auch verschiedenste Workshops und Rituale – heute würde man sagen Performances –, tanzte bei Vollmond und wusch Geld an der Isar rein. Der Ruf, eine moderne Hexe zu sein, haftet ihr schon viele Jahrzehnte an. Sie selbst sieht das so: „Wir haben die Spiritualität rausgehoben aus der Schmuddelecke. Wir machen keinen Liebes- und Vernichtungszauber. Wir machen einfach spirituelle, schöne Sachen.“

Über Nacht berühmt wurde Francia, als ihre Aussage 1986 das Cover der Zeitschrift Brigitte zierte, auf dem stand: „Eine Frau bekennt: Ich bin eine Hexe“. Das Ganze sei eigentlich ein Missverständnis gewesen, sagt sie selbst im Nachhinein. Sie hatte damals einen dokumentarischen Spielfilm über Hexenverfolgung gemacht, besetzt unter anderen mit Sepp und Annamirl Bierbichler und den Achternbusch-Kindern. „Ich habe darin die Kirche angeprangert, dass die Hexenverbrennungen eigentlich ein Massenmord an Frauen waren“, sagt Francia. Wenn diese Frauen alle Hexen sind, dann bin ich auch eine, habe sie zur Journalistin gesagt. Und schon war´s geschrieben und Francia auf die Hexe reduziert. „Aber natürlich ist mein Leben mehr als nur Zauberei“, so die Autorin.

Und Francia macht so viel mehr als das: Sie arbeitete als Journalistin, Künstlerin, Filmemacherin, aber auch als Tanzlehrerin und Sängerin, in einer Anwaltskanzlei und bediente in einer Gastwirtschaft. „Mir ging es immer um den Frauenraum. Damals gab es kein #metoo, es gab Gewalt in der Familie, das war das Hobby des Mannes“, sagt Francia. Schon früh setzte sie sich für die Belange von Frauen ein, meldete ihren Kunstlehrer, der ihre Freundin sexuell belästigt hatte, oder ließ sich auf Demonstrationen gegen den Abtreibungsparagrafen von Polizisten einkesseln und mit Wasserwerfern beschießen.

Sie selbst wuchs in einer Frauenfamilie auf, den gewalttätigen Vater hatte ihre Mutter auf Rat der Oma früh rausgeschmissen, wie sie erzählt. Frauenpower zieht sich durch den weiblichen Teil ihrer Familie und gibt ihr Halt und Selbstbewusstsein: Ihre Mutter gründete die erste alpine Frauengruppe, ihre Oma war bei den Münchner Synchronschwimmerinnen „Isarnixen“, und Francias Tante wurde in den 1950er-Jahren bayerische Tischtennismeisterin. Ihre Schwester und ihre Tochter sind ihr heute besonders wichtig.

Francia nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie über die Vergangenheit, ihre Liebschaften oder abenteuerlichen Reisen durch Afrika oder die Sahara spricht. Erzählen, das stellt man schon nach den ersten Anekdoten fest, das beherrscht sie. Und da gibt es so einige: Wie sie ihren langjährigen Freund Herbert Achternbusch kennenlernte und sie sich gegenseitig zur Kunstproduktion anstachelten. Ihre On-off-Beziehung mit dem Schauspieler Sepp Bierbichler, ihre enge Verbundenheit mit dessen Schwester Annamirl und ihre gemeinsame Zeit in der Frauen-WG im Bierbichler-Elternhaus in Ambach, wo sie von 1983 bis 1999 lebte. Wo sie in der Gaststube unten mit der Regisseurin Margarethe von Trotta ketterauchend das Drehbuch zum gemeinsamen Film „Das zweite Erwachen der Christa Klages“ (1978) schrieb.

Oder sie erzählt, wie sie sich an einem Theaterstück versuchte, das sie 1986 für die Münchner Kammerspiele schrieb und als reine Frauenproduktion inszenierte. Zwei Tage vor der Aufführung wollte der damalige Intendant Dieter Dorn „Fischmaul“ absetzen, weil es ihm zu feministisch war. Sie sei nach der Premiere bundesweit mehrspaltig verrissen worden, sagt Francia. Und dann habe der befreundete Franz Xaver Kroetz zu ihr gesagt, das sei doch egal, was die schreiben, Hauptsache bundesweit mehrspaltig. Da habe sie gemerkt, dass Theater sowieso nicht so ihr Ding sei, weil es ja auch fast schon so eine Institution sei wie die Kirche.

Wahnsinnig gut auch die Geschichte, wie sie in einem afrikanischen Buschtaxi überfallen wurde und die Bande mit einer selbst gebastelten Rassel aus einem Schildkrötenpanzer und einem Knochen in die Flucht schlug, weil sie ihnen Magie androhte. Überhaupt zurück zur Magie: „Magie ist eine ursprüngliche Kraft, die wir alle haben“, sagt Francia. Sie findet es wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir die vielen Dimensionen des Seins und der Wirklichkeit vielleicht gar nicht kennen. Und die könne man nur anders wahrnehmen und spüren, so die Autorin: „Magie ist, dass man für möglich hält, was man noch nicht versteht.“ Insofern liegen für sie Magie und Kunst ganz nah beieinander.

Das sei ja keine Literatur, was sie da schreibe, wurde ihr oft vorgeworfen. Interessiert Francia aber nicht, leben konnte sie von ihrem Schreiben immer. In der Nähe des Steinkreises bei Evora in Portugal hat die 76-Jährige vor 17 Jahren den magischen Ort für ihre Kunstproduktion in einem kleinen Steinhäuschen gefunden. Seither pendelt sie zwischen Portugal und München. Da kann es öfter mal zu Wartezeiten am Flughafen kommen. Wie die Autorin die Zeit herumbekommt, wissen wir.

Lesen Sie mehr zum Thema

Related Post

Leave a Comment