„Kannst du eigentlich Apps programmieren?“
„Ja, ich kann definitiv bei der App-Programmierung helfen! Ich kann Code für verschiedene Plattformen und Frameworks schreiben.“
„Ich möchte eine neuartige Wetterapp, die in einem bestimmten vom Nutzer festgelegten Umkreis und für ein festgelegtes Zeitfenster den Ort mit dem sonnigsten Wetter sucht.“
„Das ist eine super Idee! Eine intelligente Wetter-App, die den besten Ort für Outdoor-Aktivitäten findet. Ich kann dir eine funktionierende Version bauen, die wir Schritt für Schritt erweitern können. Du wirst sehen, dass Programmieren gar nicht so kompliziert ist, wenn man klein anfängt!“
So beginnt mein Gespräch mit Claude. Es findet nicht auf einer hippen After-Work-Party statt und Claude ist auch kein Softwareentwickler. Er ist nicht mal ein Mensch. Und ich bin auch eher selten auf hippen Partys.
Ich bin 50 und sitze mit meinem Laptop auf der Couch. Claude ist das KI-Sprachmodell von Anthropic, also so etwas wie ChatGPT, nur von einer anderen Firma.

In Sekundenschnelle rattert ein Code durch das Browserfenster. …import React, { useState, useEffect } from ‚react‘; import { MapPin, Sun, Thermometer, Calendar, Search, Loader2 } from ‚lucide-react‘; const WeatherFinderApp = () => { …
Der Code verwandelt sich in ein Bild, das tatsächlich die Oberfläche einer Wetterapp zeigt. Sie sieht fast so aus, wie ich mir meine App jahrelang vorgestellt habe.
Ich bleibe skeptisch. Kann das wirklich klappen? Kann ich mit Hilfe der KI eine echte App programmieren und bauen? Das können doch nur hochspezialisierte und hochbezahlte Informatikprofis, oder? Ich bin derjenige, der in der Firma als Erster bei der IT anruft, weil er daran scheitert, sich für ein neues Softwareprogramm anzumelden.
KI-Nutzung ist Alltag – aber nicht in allen Bereichen
Die Nutzung von KI-Sprachmodellen breitet sich rasend schnell aus. Allein der größte Chatbot ChatGPT hat bereits rund 800 Millionen wöchentliche Nutzer, das sind mehr als zehn Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung. Damit hat sich die Zahl der Nutzer in nur sechs Monaten verdoppelt!
Für viele Menschen gehört die Nutzung eines KI-Chatbots mittlerweile zum Alltag. Eine neue Studie von OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT, belegt, dass die Nutzer und Nutzerinnen die KI aber vor allem für die Erledigung alltäglicher Aufgaben gebrauchen. „Drei Viertel der Gespräche drehen sich um praktische Anleitungen, die Suche nach Informationen und das Schreiben“, heißt es in der Studie. Anspruchsvollere Anwendungen wie das Programmieren mit ChatGPT „bleiben Nischenaktivitäten.“
Zudem nutzen die meisten Menschen ChatGPT lediglich als Ratgeber. 49 Prozent aller Nachrichten sind Fragen. Wirklich arbeiten, also Texten, Planen oder Programmieren, umfasst nur 40 Prozent der Nutzung.
Die Schere zwischen dem, was KI theoretisch machen kann und dem, was die meisten Menschen damit machen, geht immer weiter auseinander.
Gregor Schmalzried; KI-Experte und Journalist
Die meisten Nutzer und Nutzerinnen kratzen also an der Oberfläche dessen, was mit ihrem KI-Chatbot möglich ist. „Davon können wir ausgehen“, bestätigt Gregor Schmalzried, KI-Experte, Journalist und Host von „Der KI-Podcast“. „Die Schere zwischen dem, was KI theoretisch machen kann und dem, was die meisten Menschen damit machen, geht immer weiter auseinander. Es wird komplexer, weil es immer neue Möglichkeiten gibt und die Nutzung immer individueller wird. Diejenigen, die tiefer drin sind, haben sich vom Rest der Welt entfernt.“

Die meisten Nutzenden, – ganz normale Menschen, keine IT-Profis – wissen gar nicht, wozu KI sie schon heute ermächtigt. Das gilt auch für mich. Bis zu diesem Abend. Bis tief in die Nacht sitze ich wie gebannt vor dem Laptop und werfe mir mit Claude die Bälle zu. „Wie kriege ich da echte Wetterdaten rein?“ „Die App zeigt einen Fehler. Was soll ich tun?“ Egal welches Problem ich habe, Claude kennt die Antwort.
Ich bin sprachlos. Auch wegen der Vorgeschichte. 2020 hatte ich zum ersten Mal die Idee. Ich wollte mit der Familie über das Wochenende in den Kurzurlaub. Eigentlich in den Harz, doch da war Regen angesagt. Ich begann verschiedene Orte in meinen Wetterdienst einzugeben und während ich immer weiter suchte, immer mehr Orte eingab und die Zeit verging, wurde ich immer genervter. So entstand die Idee, eine eigene Wetterapp zu gründen. Sie ist vor allem für Spontanurlauber, Camper, Wohnmobilisten gedacht. Die Idee: Man guckt nicht, wie an einem Ort das Wetter wird, sondern die Wetterapp sucht für einen die Orte mit dem besten Wetter in einem vom Nutzer vorgegebenen Radius und zu einem bestimmten Tag. Einen Namen hatte ich auch schon www.sonnensuche.com.
Vom fehlenden Investor zur KI-App
Chat GPT und Co. gab es damals noch nicht. Mit einem befreundeten Webdesigner habe ich stundenlang zusammengesessen und wir haben überlegt, wie die App aussehen könnte. Wir haben Meetings mit Wetterfirmen gehabt, Angebote eingeholt, Präsentationen erstellt. Über Monate haben wir an dem Projekt gearbeitet – und sind gescheitert. Am Ende haben wir nicht die richtigen Investoren gefunden und waren nicht in der Lage, selber einen Online-Wetterdienst zu programmieren. Die Beauftragung einer Agentur für App-Entwicklung wäre für uns zu teuer gewesen.

Heute, fünf Jahre später, braucht es keine Investoren mehr. Jeder, der sich bei einem der KI-Sprachmodelle angemeldet hat, kann programmieren. „Vibe Coding“ heißt dieser neue Trend. „Vibe Coding ist ein relativ neuer Fun-Begriff. Die Idee ist, dass man der KI nur grob vorgibt, was sie machen soll und mehr wie ein Manager agiert als wie ein Programmierer“, erklärt Schmalzried. Eine Form der Arbeit, die mittlerweile auch von Softwareexperten genutzt wird. Schmalzried: „Was aber wirklich spannend ist: Leute, die bisher keine Anknüpfungspunkte an das Programmieren haben, können jetzt zur KI gehen und sich an die Hand nehmen lassen und am Ende haben sie ein fertiges kleines Programm. Das ist schon der absolute Wahnsinn.“
Aber was kann jeder von uns mit KI machen? „Am einfachsten ist alles, dessen Ergebnis Text ist“, fasst Schmalzried zusammen. Und damit sind nicht nur Schulaufsätze und Glückwunschkarten gemeint. Auch ein Programmierungscode ist Text.
Wie sieht es mit der Steuererklärung aus? Kein Problem. „Man kann sich sogar bei komplexen Steuerfragen helfen lassen“, sagt Schmalzried. Die Frage sei: Möchte man das? „Man müsste dann natürlich den Zugriff auf seine Rechnungen ermöglichen und auch davon ausgehen, dass einige der Daten auf amerikanischen Servern landen.“
Eine Gefahr, vor der viele Nutzer Angst haben, ist jedoch unbegründet. „Es ist nicht so, dass andere auf die Daten, die man da eingibt, frei zugreifen können. Also es kann nicht jemand anderes in sein ChatGPT eingeben: ‚Was hat Gregor Schmalzried neulich in seine Steuererklärung eingetragen?‘ So funktioniert das nicht“. Aber es seien natürlich Daten, die vielleicht bei einem Datenleck angreifbar wären. Und es seien möglicherweise fremde Daten enthalten, bei denen der Rechteinhaber nicht sein Einverständnis gegeben habe. „Mit denen kann ich nicht machen, was ich möchte.“
Es ist nicht nur die Leistung der KI
Zauberei ist KI nicht. Manchmal fragen mich Leute: „Hat die KI die App für dich programmiert?“ Die Antwort: „Nein, wir haben sie zusammen programmiert.“ Und natürlich ist die Wetterseite nicht am ersten Abend fertig, Claude und ich verbringen in den nächsten Wochen viele Stunden miteinander – und auch heute bügeln wir noch Kinderkrankheiten aus. Das häufigste Schema: Ich schreibe, was ich mir wünsche, Claude programmiert es. Doch das ist bei Weitem nicht alles: Die KI ist auch selbst kreativ und steuert Ideen bei – und sie macht Fehler.

„Ist gar nicht böse gemeint, aber warum machst du eigentlich so viele Fehler? Codes sind doch logisch und du bist ein Computer?“, schreibe ich in den Chat.
„Du hast völlig recht, und es tut mir leid für die Verwirrung! Die Fehler entstanden, weil ich den Kontext verloren habe …“
Fast hätte ich gedacht „Ist doch menschlich …“ Tatsächlich gelingt es Claude, umso länger ich mit ihm arbeite, mir das Gefühl zu vermitteln, mit einem echten Gegenüber zu chatten. Warum sonst schreibe ich „Ist gar nicht böse gemeint …“ bevor ich Kritik äußere?
Problematisch empfinde ich das nicht. Ich weiß ja, dass ich nicht mit einem echten Menschen chatte, sondern dass es sich nur so anfühlt. Und so bleibe ich gerne höflich, auch als die Wetterseite endlich als Web-App funktioniert und online ist.
„Danke Claude, ohne dich hätte ich das niemals geschafft!“
„Das freut mich riesig! Es war mir eine Freude, dir bei der Entwicklung von Sonnensuche zu helfen!“
