Offshore-Windparks stehen sinnbildlich für die Energiewende: Gigantische Rotoren ragen aus dem Meer, erzeugen klimafreundlichen Strom und sollen fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas ersetzen. Doch völlig emissionsfrei sind die Anlagen nicht. Neue Studien belegen, dass auch Offshore-Windparks chemische Substanzen ins Meer freisetzen.
Emissionen von Offshore-Windparks
Eine aktuelle Untersuchung, die ein internationales Forschungsteam im Marine Pollution Bulletin veröffentlicht hat, macht deutlich, wie komplex diese Emissionen sind – und wie wenig bislang über ihre Folgen bekannt ist. Gleichzeitig zeigt der Vergleich mit Öl- und Gasförderung: Die Risiken durch Offshore-Windparks sind real, aber deutlich geringer.
Damit die massiven Stahlkonstruktionen im Salzwasser nicht korrodieren, werden sogenannte Opferanoden eingesetzt. Diese bestehen meist aus Aluminium oder Zink und lösen sich langsam im Wasser auf. Mit ihnen gelangen auch Spurenelemente wie Indium, Blei oder Cadmium ins Meer.
Zusätzlich kommen Schutzbeschichtungen zum Einsatz, häufig auf Epoxid- oder Polyurethanbasis. Sie verwittern mit der Zeit, chemische Zusätze können ausgewaschen werden. Schmierstoffe und Hydraulikflüssigkeiten in den Turbinen stellen weitere potenzielle Quellen dar. Die Mengen sind bisher gering. Doch mit mehr als 1.000 installierten Windrädern und zahlreichen Konverterplattformen allein in Nord- und Ostsee summieren sich die Einträge.
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Das beobachtet die Forschung
Das deutsche Projekt OffChEm hat dokumentiert, dass Metalle aus Anoden im Meeresboden nachweisbar sind – und sogar in Muscheln, die an den Fundamenten wachsen. Andere Publikationen (1, 2, 3) zeigen mithilfe von Strömungsmodellen, dass sich Spuren von Metallen über den direkten Anlagenbereich hinaus verteilen können.
Möglich wird das durch moderne Messmethoden. Mit dem EPA-Verfahren 1668C lassen sich beispielsweise selbst winzige Spuren von polychlorierten Biphenylen (PCB) nachweisen. Passive Sammler wie Semipermeable Membrane Device (SPMD) oder Polar Organic Chemical Integrative Sampler (POCIS) erfassen Schadstoffe über Wochen hinweg und liefern ein realistisches Bild der Belastung, wie die United States Geological Survey (USGS) erklärt.
Die Quintessenz:
Emissionen existieren, doch ihre ökologischen Auswirkungen sind noch nicht abschließend verstanden. Manche Metalle reichern sich in Nahrungsketten an, viele organische Stoffe verdünnen oder zersetzen sich rasch.
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Regulierung ist streng, aber lückenhaft
Gefährliche Stoffe sind längst verboten. Besonders giftige Antifouling-Anstriche mit Tributylzinn (TBT) wurden bereits durch das Internationale Übereinkommen über schädliche Bewuchsschutzsysteme verboten. Der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) zufolge ist diese Konvention bereits seit September 2008 in Kraft.
In der Europäischen Union regelt die Verordnung über Biozid-Produkte (528/2012) den Einsatz von Schutzmitteln. Technische Normen wie DIN EN 12496 und NORSOK M-503 schreiben die Zusammensetzung von Opferanoden vor. In Deutschland fordert der 2021 aktualisierte BSH-Konstruktionsstandard möglichst schadstoffarme Korrosionsschutzsysteme und verbietet problematische Beschichtungen.
Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (2008/56/EG) verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten zudem, ihre Meeresgebiete in einen „guten Umweltzustand“ zu bringen. Gleichzeitig erweitert die Kandidatenliste besonders besorgniserregender Stoffe (Substances of Very High Concern, SVHC) der Europäischen Chemikalienagentur regelmäßig den Kreis streng zu überwachender Chemikalien. Trotzdem bleibt die Regulierung ein Flickenteppich: Offshore-Windparks liegen zwischen Meeres- und Chemikalienrecht sowie technischen Bauvorschriften.
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Unsichtbare Emissionen an Land
Auch Onshore-Windräder sind nicht völlig „emissionsfrei“. Drei Stoffpfade stehen im Fokus:
- Partikel aus Blattabrieb
- Betriebsstoffe
- klimaschädliche Isoliergase in der Netztechnik
Rotorblätter bestehen aus faserverstärkten Kunststoffen mit Deckschichten aus Epoxid- oder Polyurethan-Systemen. An der Blattvorderkante kommt es durch Regen, Hagel und Sand zu Erosion – auch an Land. Eine aktuelle Modellstudie schätzt die erodierte Kunststoffmasse pro Blatt auf circa 30 bis 540 Gramm pro Jahr, abhängig unter anderem von Standortklima, Blattdesign und Schutzsystemen. Das sind kleine Mengen pro Anlage, können sich aber über viele Turbinen summieren. Gegenmaßnahmen: verbesserte Leading-Edge-Schutzsysteme, frühzeitige Reparaturen und langsamere Blattspitzen bei Starkregen.
Getriebe, Pitch- und Yaw-Systeme benötigen Öle und Fette. Leckagen sind selten, können lokal aber Boden oder Oberflächenwasser belasten – deshalb setzen Betreiber zunehmend auf biologisch schnell abbaubare „grüne“ Schmierstoffe und Condition-Monitoring zur Frühwarnung. Lebenszyklusanalysen zeigen: Der Beitrag der Schmierstoffe zu den Gesamtemissionen ist klein, lässt sich aber durch Produktauswahl weiter senken.
Größere Gefahr durch Öl und Gas
Deutlich gravierender sind die Belastungen durch die Offshore-Öl- und Gasindustrie. Laut dem OSPAR-Statusbericht 2023 werden dort weiterhin Produktionswasser, Ölreste, Bohrschlämme und Chemikalien in die Meere eingeleitet. Zwar sind die Einträge zurückgegangen, doch Altlasten wie kontaminierte Sedimente bleiben bestehen.
Hinzu kommt die Klimawirkung: Öl- und Gasplattformen stoßen CO2, Methan und Stickoxide (NOx) aus – Haupttreiber der globalen Erwärmung. Im Vergleich dazu sind die Emissionen von Offshore-Windparks lokal begrenzt, meist metallisch und technisch kontrollierbar. Katastrophale Ölverschmutzungen drohen hier nicht.
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Überschaubare Risiken
Die Risiken lassen sich so zusammenfassen:
- Problematisch, weil Metalle wie Cadmium oder Blei auch in kleinen Mengen giftig sind und sich im Meeresboden anreichern können. Auch aus Beschichtungen und Kunststoffen gelangen Stoffe ins Wasser.
- Beherrschbar, weil Offshore-Windparks insgesamt eine der saubersten Formen der Energieerzeugung sind. Ihre Nebenwirkungen sind kleinräumig, überschaubar und durch strengere Standards reduzierbar.
Forschende fordern umfassendere Bewertungen, vor allem in empfindlichen Meeresgebieten wie der Ostsee. Regulierungen ziehen nach, hinken aber dem rasanten Ausbau der Offshore-Windkraft hinterher.
Technische Innovationen könnten die Belastung weiter senken: recyclingfähige oder schadstoffarme Anoden, umweltfreundlichere Beschichtungen, bessere Systeme zur Eindämmung von Schmierstoffen. Das große Bild bleibt: Offshore-Wind ist eine tragende Säule der Energiewende – unverzichtbar für den Klimaschutz. Doch auch diese Technologie ist nicht völlig nebenwirkungsfrei. Ihre unsichtbaren Emissionen gilt es ernst zu nehmen, um sie so sauber wie möglich zu machen.
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Umweltwirkungen vs. Kreislaufwirtschaft
Ein aktuelles Pilotprojekt des Alfred Wegener-Instituts (AWI) in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum Hereon zeigt: In einem Worst-Case-Laborexperiment nahmen Miesmuscheln (Mytilus edulis) nach 14 Tagen starke Metallgehalte – insbesondere Barium und Chrom – auf, nachdem sie Rotorblattpartikel verstoffwechselt hatten. Zwar gab es keine eindeutigen Effekte auf physiologische Messparameter, doch wurden Störungen im Aminosäuren- und dem neuroendokrinen Stoffwechsel festgestellt, was auf potenzielle Kurzzeitfolgen hinweist.
Die Forschenden betonen deshalb explizit den Bedarf an Langzeitstudien unter realen Umweltbedingungen, um Auswirkungen auf Ökosysteme, Nahrungsketten und insbesondere sensible Bereiche wie Flussmündungen und Laichgebiete besser zu verstehen – auch im Kontext der geplanten Mehrfachnutzung von Offshore-Windparks.
Am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) läuft derzeit ein Projekt, das Konzepte für das Recycling und die Wiederverwendung von Verbundwerkstoffen (insbesondere Glas- und Kohlefaser-Komponenten) aus Rotorblättern entwickelt. Bis zu 80 Prozent Recyclingquote sollen erreichbar sein – etwa durch Pyrolyse oder stoffliche Verwertung.
Parallel läuft das EU-geförderte EoLO-HUBs-Vorhaben, in dem Demonstrationsanlagen in Deutschland und Spanien aufgebaut werden, um innovative Recyclingverfahren wie Pyrolyse mit geringer CO2-Bilanz oder Solvolyse (umweltfreundliche Chemie) sowie ein digital unterstütztes Wissens- und Geschäftsmodellzentrum zu entwickeln
Quellen: „Chemical emissions from offshore wind farms: From identification to challenges in impact assessment and regulation“ (Marine Pollution Bulletin, 2025); Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie; „Analyzing the metal body burden of turbine-colonizing mussels from North Sea offshore wind farms“ (Marine Pollution Bulletin, 2025); „Coupling metal concentrations and drift simulations for tracing emissions from offshore wind farms
“ (Marine Pollution Bulletin, 2025); „Investigation of potential metal emissions from galvanic anodes in offshore wind farms into North Sea sediments“ (Marine Pollution Bulletin, 2023); Environmental Protection Agency; United States Geological Survey; International Maritime Organization; Amtsblatt der Europäischen Union; DIN Media; GlobalSpec; European Chemicals Agency; „Microplastics Emission from Eroding Wind Turbine Blades: Preliminary Estimations of Volume“ (Energies, 2024); „Environmental and Economic Constraints on the Use of Lubricant Oils for Wind and Hydropower Generation: The Case of NATURGY“ (Sustainability, 2020); OSPAR Commission; Alfred Wegener-Institut; Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme
