Zeitzeugen berichten unter Tränen vom Schrecken des Zweiten Weltkriegs

SaboLesertreff

Zeitzeugen berichten unter Tränen vom Schrecken des Zweiten Weltkriegs

Eine Serie über das Ende des Zweiten Weltkriegs und ein Buch von SaboRedakteurin Claudia Feser über Bomben, Flucht und Vertreibung stoßen auf viel Resonanz. Nun gab es einen Lesertreff zum Thema.

Auch 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es ein großes Bedürfnis, über die Schrecken des Krieges und dessen Folgen zu sprechen. Das zeigte nicht nur unsere Serie zum Kriegsende, für die SaboRedakteurin Claudia Feser mit mehr als 60 Zeitzeugen geredet hat, sondern auch der Lesertreff am Dienstag. Anlässlich der Vorstellung des Buches„80 Jahre Kriegsende“mit den bewegenden Lebensgeschichten, die Claudia Feser aufgeschrieben hat, und des Jahrestags der Kasseler Bombennacht vom 22. Oktober 1943 kamen mehr als 80 Besucher in das SaboGebäude in der Frankfurter Straße.

Viele Gäste berichteten von ihren Erlebnissen von damals, mussten manchmal weinen und bedankten sich dafür, dass ihre Geschichten nun gehört werden. Wir fassen die 90-minütige Veranstaltung zusammen. Auch sie soll dafür sorgen, wie es SaboChefredakteur Axel Grysczyk formulierte, dass „wir die Erinnerung wachhalten und im besten Fall an die nächste Generation weitergeben“.

Als Moderator sprach Axel Grysczyk mit drei beeindruckenden Zeitzeugen auf dem Podium. Der 88-jährige Alfred Röver erzählte vom 22. Oktober 1943, als Kassel innerhalb von 22 Minuten durch britische Bomber „in Schutt und Asche gelegt wurde“, wie es der Kasseläner sagte: „Für uns war das eine Ewigkeit. Die meisten hatten mit dem Leben abgeschlossen.“ Mit seiner Oma musste er mit ansehen, wie viele in ihren Kellern an Vergiftung starben. Auch das hat Alfred Röver geprägt.

Ähnlich erging es anderen Überlebenden der Bombennacht. Zwischen den Gesprächen las Claudia Feser immer wieder Passagen aus ihrem Buch vor – so etwa den Text über Karl-Friedrich Freitag, der in der Kasseler Südstadt aufwuchs und alle Bombenangriffe auf seine Stadt miterlebte. Er sagt im Buch: „Wenn man die Karnickel, Hühner, Enten und Gänse schreien hört, weil sie durch den Phosphor der Bomben bei lebendigem Leibe verbrennen, dann vergisst man das nie.“

Das Ende des Krieges erlebten die Kinder von damals als Befreiung. Und das lag nicht nur an der Schokolade und den Kaugummis, die die US-Soldaten an Alfred Röver und die anderen Jungs und Mädchen verteilten: „Wir waren glücklich. Alle waren gleich, obwohl wir nichts hatten.“

Arita Käfer musste erst einmal überlegen, als ihre Tochter den Zeitzeugenaufruf in der Sabogelesen hatte und sie fragte: „Mami, darf ich dich anmelden?“ Viele Jahre hatte sie ihre Geschichte verdrängt. Dann meldete ihre Tochter Arita Käfer doch an. Die Lebensgeschichte der 93-Jährigen ist eine der beeindruckendsten im Buch. Geboren wurde Arita Käfer in Lodz. Auf der Flucht mit ihrer Mutter wurde sie im Sudetenland in ein Lager einquartiert. Sie sah brutale Schläge, Frauen wurden vergewaltigt. Nur ganz knapp entging Arita Käfer der Erschießung. Begonnen habe ihr Leben erst mit 16 Jahren, als sie ihren späteren Mann kennenlernte. Auf dem Podium beim Lesertreff sagte die fitte Frau aus Schauen㈠burg-Elgershausen: „Es sind schlimme Erinnerungen, aber ich empfinde sie heute nicht mehr als Schmerz. Es ist Teil meines Lebens.“

Teil des Lebens von Günther Stagl war der Todesmarsch von Brünn. 30.000 verbliebene Deutsche aus der Region rund um die heutige tschechische Stadt wurden damals über die Grenze nach Österreich getrieben. Als er mit seiner Familie in Obervorschütz bei Gudensberg unterkam, wurde er oft krank und schrie im Fieberwahn. Die Ärzte waren ratlos. Es waren Folgen der traumatischen Erlebnisse auf dem Todesmarsch. Erst mit zwölf Jahren sei es besser geworden, sagte der 84-Jährige aus Harleshausen.

Die Geflüchteten waren dankbar, im Westen eine neue Heimat gefunden zu haben. Leicht war es aber auch hier nicht immer. Gerd Tarant (82) aus Fuldabrück-Dennhausen berichtete, wie er und die anderen Geflüchteten „Kartoffelkäfer“ genannt wurden, weil sie wie die Käfer über das Land herfallen würden. Auch Ludwika Brühbach (91) aus Fuldabrück-Dörnhagen meldete sich zu Wort. Sie wurde nördlich der Karpaten geboren. Danach war sie mit ihrer Familie immer wieder auf der Flucht. Eine Zeit lang lebte sie in der DDR. Ludwika Brühbach sagte: „Ich habe immer gefroren. Ich möchte nie mehr frieren. Deswegen ist unsere Bude oft überheizt.“ An dieser Stelle wurde im Saal gelacht. Ansonsten hörte man während des Lesertreffs oft ein Schluchzen. Besuchern kamen immer wieder Tränen.

Auch wegen der Reaktionen beim Lesertreff glaubt SaboChefredakteur Axel Grysczyk, dass „wir einen Nerv getroffen haben“. Autorin Claudia Feser ist immer noch beeindruckt von den Gesprächen, die sie geführt hat: „Die Kriegsgeneration ist sehr dankbar, sie will aufrütteln und mahnen.“ Hans-Eberhard Nuhn bedankte sich bei ihr, weil sie „sich so viel Zeit genommen und mitgelitten hat“. Der 91-Jährige aus Kassel appellierte an alle, das Buch zu kaufen. Toll findet er das Vorhaben der Sabo, einen Teil der Auflage Schulklassen zur Verfügung zu stellen. Angesichts der Erfahrungen aus zwei Weltkriegen, die jeweils von Deutschland begonnen wurden, und der aktuellen Weltlage sagte er: „Hoffentlich wird uns ein dritter Weltkrieg erspart.“ Oder wie es Günther Stagl formulierte: „Nur wer Glück hatte, hat überlebt. So etwas darf nicht wiederkommen.“ (Matthias Lohr)

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